10 Objekte zu Faust

Goethes naturwissenschaftliche Sammlung

Goethes Naturwissenschaftliche Sammlung: Gorgonenhaupt

Sonnenspektrum mit Absorptionslinien von Joseph von Fraunhofer, um 1823, Papier: 20,9 × 42,6 cm, Spektralband: 5,4 × 36,8 cm

Pilze in einem Tütchen 1798, Breite des Papiertütchens: 6 cm

Tafel aus Christian Heinrich Panders Entwickelungsgeschichte des Hühnchens im Eye Kupferstich von Eduard d'Altons, 1817, 23,7 — 32,8 cm

Phiole, Länge: 17,5 cm

Delfinschädel, Länge: 39 cm

Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Quecksilber, Blei und Zinn; Länge: von 2 bis 9 cm

Diamant, Länge: 1cm

Meteoriten teils in Glasbehältern oder Papier aufbewahrt, Länge: bis zu 4 cm

Zwei Lindenblätter auf einem Spross, Höhe des Herbarblatts: 34 cm

20.03.2025 6

1 Gorgonenhaupt

Alles entstammt dem Wasser: Dieses Grundmotiv aus Faust II wird durch das Gorgonenhaupt, auch Medusa genannt, versinnbildlicht – ein mariner Schlangenstern aus der großen Gruppe der Stachelhäuter. Die Herkunft von Goethes Exemplar ist unbekannt, einer der frühesten Schlangensterne wurde als Zufallsfang bei einer Arktisexpedition Franklins mitgebracht. Goethes Faust II beginnt und endet mit Wasser: mit dem Regenbogen, der durch die Tröpfchen der Atmosphäre entsteht und den „Abglanz des Lebens“ zeigt, und dem Meer, das Faust vergeblich einzudämmen versucht.

Goethes Naturwissenschaftliche Sammlung: Gorgonenhaupt

»Vom Schönen, Wahren durchdrungen …
Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
Alles wird durch das Wasser erhalten!
Ocean gönn’ uns dein ewiges Walten.«

2 Sonnenspektrum

Den direkten Blick in die gleißende Sonne kann das menschliche Auge nicht ertragen, aber die Farben, die – wie Goethe in der Farbenlehre sagt – „Thaten und Leiden des Lichts“ sind, lassen sich betrachten. Das berühmte Sonnenspektrum von Joseph von Fraunhofer gibt den Regenbogen wieder. Von diesem von Fraunhofer selbst kolorierten Spektrum existieren weltweit nur drei Exemplare, zwei in München und eines in Weimar. Goethe erhielt es als Geschenk von Thomas von Soemmerring, konnte aber mit den Absorptionslinien nichts anfangen. Er hielt sie nicht für naturhaft zum Licht gehörig und bezeichnete die Idee als „Hokuspokus“: „Gott hat die Natur einfältig gemacht, sie aber suchen viel Künste.“

Sonnenspektrum mit Absorptionslinien von Joseph von Fraunhofer, um 1823, Papier: 20,9 × 42,6 cm, Spektralband: 5,4 × 36,8 cm

»Allein wie herrlich diesem Sturm ersprießend Wölbt sich des bunten Bogens Wechsel-Dauer, Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend, Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
Der spiegelt ab das menschliche Bestreben. Ihm sinne nach und du begreifst genauer: Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.«

3 Pilze in einem Tütchen

Goethes unbekannte Sammlung von Pilzen besteht heute meist nur noch aus beschrifteten und gefalteten Papiertüten mit darin enthaltenem Pilzstaub. Um 1800 galten Pilze als Lebewesen, die zwischen Leben und Tod changierten und die aus toter Materie, Fäulnis und Unrat entstehen konnten. Diese Vorstellung teilte auch Goethe. Neben seinen Texten zur Verstäubung (über Fliegen, die von Pilzen getötet werden und aus denen wiederum neue Pilze wachsen) und die Pietra fungaja (über einen Stein, der zugleich Pilz ist, also tot und lebendig zugleich) gehören die Passagen des 2. Aktes von Faust II, die sich mit der künstlichen Schöpfung des Lebens, des Homunkulus, beschäftigen, zu den wichtigen Zeugnissen dieses Denkens.

Pilze in einem Tütchen 1798, Breite des Papiertütchens: 6 cm

4 Tafel aus Christian Heinrich Panders Entwickelungsgeschichte des Hühnchens im Eye

Das seltene Werk Entwickelungsgeschichte des Hühnchens im Eye von Christian Heinrich Pander, dem Begründer der wissenschaftlichen Embryologie, befindet sich in Goethes Privatbibliothek. Eigentlich eine medizinische Dissertation von 1817, besticht es durch die schönen Stiche Eduard d’Altons, einem Freund und naturwissenschaftlichen Berater Goethes. Pander löste mit seiner epochemachenden Arbeit die Frage, wie individuelles Leben entsteht und sich formt: nicht durch Epigenese („Schöpfung aus dem Formlosen“) oder Präformation („vorherbestimmte Ausformung“), sondern durch Bildung von drei Keimblättern. Alles beginnt, wie es schon bei Aristoteles heißt, mit einem „springenden Punkt“: dem winzigen Herzen und dem entstehenden Blutkreislauf, durch den sich die Materie organisiert und Stoffe „aneignet“, bis der kommende Organismus sichtbar wird.

Tafel aus Christian Heinrich Panders Entwickelungsgeschichte des Hühnchens im Eye Kupferstich von Eduard d'Altons, 1817, 23,7 — 32,8 cm

»Der zarte Punct aus dem das Leben sprang,
Die holde Kraft die aus dem Innern drang
Und nahm und gab, bestimmt sich selbst zu zeichnen, Erst Nächstes, dann sich Fremdes anzueignen«

5 Phiole

Eine Phiole ist ein birnenförmiger Glaskolben mit langem Hals und meist abgerundetem Boden, sodass sie nicht frei stehen kann. In der alten Alchemie war die Phiole ein beliebtes Werkzeug. In Faust II entsteht in ihr Homunkulus: „Im Feuchten ist Lebendiges erstanden“. Ein solcher Glaskolben aus Goethes Besitz, der mit einem Netz aus Seide versehen ist, ist erhalten geblieben. Was Goethe damit gemacht hat, ist jedoch unbekannt – vielleicht verwendete er sie bei biologischen Untersuchungen.

Phiole, Länge: 17,5 cm

»Schon hellen sich die Finsternisse;
Schon in der innersten Phiole
Erglüht es wie lebendige Kohle«

6 Delfinschädel

Der Naturforscher und Dichter Adelbert von Chamisso brachte von seiner Weltreise sechs Delfinschädel nach Berlin, alle in der Mitte aufgeschnitten, um den inneren Bau, vor allem die Gehirnkapsel, sehen zu können. Auch in Goethes Sammlungen befindet sich ein aufgeschnittener Delfinschädel, dessen Herkunft jedoch unbekannt ist. In Faust II setzt er den mythischen Delfinen, die Menschen durch das Wasser tragen, ein Denkmal: Proteus verwandelt sich in einen Delfin, um Homunkulus zu tragen, die Doriden reiten auf Delfinen und Galatees Muschelwagen wird von ihnen gezogen – der Auftakt zu einem fröhlichen Fest aller Meeresgeschöpfe, tierischer, menschlicher und mythischer.

Delfinschädel, Länge: 39 cm

7 Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Quecksilber, Blei und Zinn

Als Astrologe auftretend verbindet Mephistopheles in Faust II die sieben klassischen Planeten mit den sieben klassischen Metallen: Sonne mit Gold, Merkur mit Quecksilber, Mars mit Eisen, Ve-us mit Kupfer, Luna mit Silber, Jupiter mit Zinn und Saturn mit Blei. Diese Zuordnung verbindet den äußeren Kosmos mit den inneren Schätzen der Erde. Wenn Goethe sein Arbeitszimmer, in dem er Faust diktierte, verließ, konnte er gleich rechter Hand im Vorzimmer aus Mineralienschrank II diese sieben Metalle in der gleichen Reihenfolge hervorholen: Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Quecksilber, Blei und zuletzt Zinn, das sich als „Urmetall“ gleich gegenüber in einer eigenen Sammlung befand. Dieses Lexikon der Dinge hatte Goethe stets zur Hand. Auch die Auflösung der alten Ordnung erlebte er mit: 1781 wurde mit Uranus erstmals seit der Antike ein neuer Planet entdeckt, zugleich lieferten Bergbau und Chemie immer neue Metalle: Platin, Wismut, Wolfram, Uran, Titanium und andere mehr.

Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Quecksilber, Blei und Zinn; Länge: von 2 bis 9 cm

»Die Sonne selbst sie ist ein lautres Gold,
Merkur der Bote dient um Gunst und Sold,
Frau Venus hat’s euch allen angethan,
So früh als spat blickt sie euch lieblich an;
Die keusche Luna launet grillenhaft,
Mars trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft.
Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,
Saturn ist groß, dem Auge fern und klein.
Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,
An Werth gering, doch im Gewichte schwer.
Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,
Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt«

8 Diamant

Goethes mineralogische Sammlung beginnt in Schrank I, Lade 1, an Position 1 mit einem kleinen Diamanten. Gegen Ende des 18. Jahr hunderts erkannten Chemiker, dass das härteste aller Minerale aus Kohlenstoff besteht. Damit hat der Diamant die gleiche Substanz wie alles Lebendige. Goethe weiß das und spielt in der Homunkulus-Szene darauf an: Der traditionell eigentlich rötlich glimmende Karfunkel (von „carbunculus“, was etymologisch „glänzende, kleine Kohle“ bedeutet) ist hier weiß und hell wie der Blitz – ein Symbol für die Fulguration der Lebensentstehung, wie der österreichische Zoologe Konrad Lorenz beschreibt. Martin Heidegger brachte Heraklits Rätselspruch „tà dè pánta oiakízei keraunós – Alles aber verwaltet der Blitz“ (Fragment 64) an seiner Hütte in Todtnauberg an.

Diamant, Länge: 1cm

»Ja wie der herrlichste Karfunkel,
Verstrahlend Blitze durch das Dunkel;
Ein helles weißes Licht erscheint!«

9 Meteoriten

In Faust II wird der Fall eines Meteoriten auf ganz unterschied-liche Weise dargestellt: Der Plutonist Anaxagoras schildert ihn katastrophistisch, der Neptunist Thales ironisch-abgeklärt. Goethe teilte den zu seiner Zeit verbreiteten Glauben, dass Meteore (als Lichterscheinungen) und Meteoriten (als sogenannte Luftsteine) atmosphärische Phänomene seien. Die Vorstellung, dass Steine aus dem All auf die Erde fallen könnten, galt als überwundener Aberglaube, über den die Aufgeklärten spotteten. Der Physiker Ernst Florens Friedrich Chladni – für Goethe eine „Zierde der Nation“ – bewies jedoch 1794, dass Meteoriten kosmischen Ursprungs sind. Diese Erkenntnis blieb lange umstritten, da sie schwer nachzuweisen war.

Meteoriten teils in Glasbehältern oder Papier aufbewahrt, Länge: bis zu 4 cm

»Anaxagoras: „Welch ein Geprassel! Welch ein Zischen! Ein Donnern, Windgethüm dazwischen!“ (Faust II, 7926–27)[…]
Thales: „Gestehen wir, es sind verrückte Stunden,
Und Luna wiegt sich ganz bequem
An ihrem Platz so wie vordem.“ (Faust II, 7933–35) […]
Homunkulus: „Ich spürt’ ein ungeheures Prallen,
Der Fels war aus dem Mond gefallen“«

10 Zwei Lindenblätter auf einem Spross

„Auf einem Hügel im Lande Phrygien steht eine tausendjährige Eiche und dicht neben ihr eine Linde von gleichem Alter.“ In Ovids Metamorphosen erbitten sich die beiden Alten als einzige Gunst von den Göttern, gemeinsam sterben zu dürfen. Nach ihrem Tod werden Philemon in eine Eiche und Baucis in eine Linde verwandelt, die noch tausend Jahre nebeneinander grünen, während das umliegende Land von Wasser bedeckt wird. In Goethes Faust II leben Philemon und Baucis im Schatten zweier alter Linden ein frommes Leben. Als die beiden Menschen in ihrer Hütte verbrennen, verbrennen die Bäume mit ihnen – sie sind Opfer von Fausts Meeresbezwingungsprojekt. Nichts könnte seine maßlose Schuld besser verdeutlichen.

Zwei Lindenblätter auf einem Spross, Höhe des Herbarblatts: 34 cm

»Die Alten droben sollten weichen,
Die Linden wünscht ich mir zum Sitz,
Die wenig Bäuume, nicht mein eigen,
Verderben mir den Welt-Besitz.«

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