Germanistin und Expertin für Deutsch als Fremdsprache, Li Yuan, © Bi Lili

5 Fragen an...

Li Yuan

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6:44 Minuten | 5 Fragen an... Li Yuan
Art: InterviewAutor*in: Bastian Denker
28.08.2025 1

Am 28. August, Goethes 276. Geburtstag, verleiht Goethe-Instituts-Präsidentin Gesche Joost im Rahmen eines feierlichen Festakts die Goethe-Medaille 2025 in Weimar. Wir haben vorab eine der drei Preisträger*innen zum Gespräch getroffen. Mit Li Yuan, Germanistin und Expertin für Deutsch als Fremdsprache, unterhielten wir uns über die besondere Auszeichnung, über Goethe, internationalen Kulturaustausch und vieles mehr. Jetzt lesen oder hören!

»Ich glaube, dass das Verständnis für fremde Denk- und Lebensweisen heute zu den zentralen Aufgaben unserer Zeit gehört.«
Frau Lee Yuan, herzlichen Glückwunsch zur Goethe-Medaille 2025. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ich freue mich natürlich sehr, die Goethe-Medaille 2025 zu erhalten. Dies bedeutet mir sehr viel. Nicht nur als persönliche Auszeichnung, sondern vor allem als Anerkennung meiner jahrzehntelangen Brückenarbeit zwischen der chinesischen und der deutschen Sprache, Bildung und Kultur. Diese Medaille gilt nicht nur mir persönlich, sondern dem lebendigen und tiefgehenden Dialog zwischen China und Deutschland, zwischen Ost und West, zwischen den Seelen zweier großer Kulturen.
Sie werden für Ihre herausragenden Leistungen im Bereich der interkulturellen Verständigung ausgezeichnet. Auch Goethe hat mit seinem Werk zum interkulturellen Austausch beigetragen, indem er den Dialog zwischen Kulturen und Literaturen förderte. Ist das Verständnis für fremde Denk- und Lebensweisen heute wichtiger denn je?
Ich glaube sogar, dass das Verständnis für fremde Denk- und Lebensweisen heute zu den zentralen Aufgaben unserer Zeit gehört. Heute leben wir in einer Welt, die durch Globalisierung, Migration und digitale Vernetzung enger zusammengerückt ist als je zuvor. Doch diese Nähe bedeutet nicht automatisch Verständnis. Im Gegenteil, oft verstärken sich gerade dadurch Missverständnisse, Vorurteile und Ängste. Goethe hat mit seiner Idee der Weltliteratur schon im 19. Jahrhundert den Gedanken geprägt, dass Kulturen nicht in sich geschlossene Räume sind, sondern sie im Dialog wachsen und reicher werden. Für ihn war die Begegnung mit dem Fremden keine Bedrohung, sondern eine Quelle von Inspiration und geistiger Erweiterung. Daran können wir uns heute orientieren. Interkulturelles Verstehen heißt für mich, nicht nur die Sprache des anderen zu erlernen, sondern auch seine Weltbilder, seine Traditionen und seine Erfahrungen ernst zu nehmen. Das beansprucht Offenheit, Empathie und auch die Bereitschaft, die eigene Sichtweise zu relativieren. Wer auf diese Weise eine fremde Kultur berührt, entdeckt zugleich auch die eigene neu.
Lehren Sie an der Universität eventuell auch mal mit Texten von Goethe, und haben die Studierenden vielleicht sogar einen Lieblingstext?
Ja, selbstverständlich arbeite ich auch mit Texten von Goethe. Besonders gerne greife ich dabei auf das berühmte Ginkgo-Gedicht zurück:
„Ist es ein lebendig Wesen, das sich in sich selber trennt?
Sind es zwei, die sich erlesen, dass man sie als eines kennt?“
Zwei, die doch eins sind. Gerade für chinesische Studierende hat dieses Gedicht eine besondere Resonanz, weil der Ginkgo-Baum aus China stammt und dort seit Jahrhunderten als Symbol für Beständigkeit, Weisheit und Harmonie verehrt wird. Wenn sie sehen, wie Goethe diese Pflanze in seine Dichtung aufgenommen hat, spüren sie sehr direkt, dass es schon damals eine kulturelle Verbindung zwischen Ost und West gab.
In Weimar feiern wir dieses Jahr Goethes Faust. Faust verkörpert den unstillbaren Drang nach Erkenntnis und das Streben nach dem ganzen Wissen. Wie verändert sich dieses Streben aus Ihrer Sicht, wenn KI nun zu unbegrenztem Zugang zu Sprache und Informationen bietet? Und was bedeutet das für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen?
Goethes Faust steht für den unstillbaren Drang nach Erkenntnis, für den Wunsch, das Ganze zu begreifen und nichts auszulassen. Heute, im Zeitalter der künstlichen Intelligenz, erleben wir eine völlig neue Situation. Informationen sind in nahezu unbegrenztem Umfang verfügbar. Sprache kann sekundenschnell übersetzt oder verarbeitet werden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass damit der faustische Wissensdurst gestillt sei. Doch in Wahrheit zeigt sich gerade hier ein entscheidender Unterschied: Daten und Informationen sind nicht dasselbe wie Wissen. Schon im Ursprung des deutschen Begriffs – von der indogermanischen Wurzel weid, heißt: sehen, erblicken – klingt an, dass Wissen mit Einsicht und Orientierung zu tun hat.
Welche Impulse wünschen Sie sich für die Zukunft des Faches Deutsch als Fremdsprache weltweit?
Ja, ich wünsche vor allem Impulse, die interkulturelle Verständigung, kreatives Denken und Persönlichkeitsentwicklung fördern. Sprache ist da nicht nur ein Werkzeug zur Kommunikation, sie ist ein Zugang zu anderen Denk- und Lebensweisen. Für den neuen Bildungsstandard für Deutsch als Fremdsprache an allgemeinbildenden Schulen in China, an dessen Entwicklung ich maßgeblich beteiligt war, haben wir die wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale und Schlüsselkompetenzen in vier Stichworten zusammengefasst: also Sprachkompetenz, erstens; zweitens Kulturbewusstsein; drittens Denkvermögen; viertens Lernkompetenz. Diese Kompetenzen sollen Lernende befähigen, nicht nur die Sprache zu beherrschen, sondern sie als Werkzeug zur Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, zur Reflexion und zum eigenständigen Lernen zu nutzen. Als weiteres wünsche ich, dass Digitalisierung und künstliche Intelligenz nicht als Ersatz für menschliche Begegnung verstanden werden, sondern als Chance, Sprachlernen zu erweitern, Zugänge zu Texten zu erleichtern und interkulturellen Austausch zu vertiefen.

Zur Person

Li Yuan ist Germanistin und Expertin für Deutsch als Fremdsprache. Sie leitet die Fakultät für Asiatische und Europäische Sprachen, das Institut für Deutschlandstudien und ist verantwortlich für das Zentrum für Global Competence an der Zhejiang Universität. Li Yuan promovierte an der Technischen Universität Berlin und absolvierte dort mit dem Humboldt-Stipendium ein Post-Doc-Studium. Sie leistet im Bereich der Fremdsprachenerwerbsforschung wegweisende Arbeit, indem sie moderne Methoden der empirischen Datenanalyse anwendet, um Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts in China kontinuierlich zu verbessern. Neben der Entwicklung innovativer Formate steht die Nachwuchsförderung im Zentrum ihrer Arbeit, um dem enormen Interesse für das Fach Deutsch als Fremdsprache in China zu begegnen. Durch eine Vielzahl von Fortbildungsseminaren trägt sie aktiv zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Fachs bei. Ein von ihr initiiertes Forschungskolloquium fördert den Austausch zwischen deutschen und chinesischen Wissenschaftler*innen. Brücken zwischen China und Deutschland bzw. Österreich baut sie auch für den DAAD und das Programm Kultur und Sprache des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Ihre Forschungs- und Lehrleistungen wurden in China mehrfach ausgezeichnet.

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