Simon Schwartz, © Paulina Knebel

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Simon Schwartz

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7 Minuten
29.04.2025 1

Der Comickünstler Simon Schwartz hat für „Faust. Eine Ausstellung“ verschiedene Arbeiten angefertigt. Die Ausstellung fragt danach, ob uns „Faust“ heute noch etwas angeht. Wir haben mit Simon Schwartz über sein Verhältnis zu Goethes Meisterwerk, über den Entstehungsprozess seiner Arbeiten für Weimar und über einiges andere gesprochen. Jetzt lesen oder reinhören!

»Goethe – ausgerechnet Goethe – ist der erste dokumentierte Comic-Fan.«
Herr Schwartz, Hochliteratur als Comic – kein Widerspruch?
Selbstverständlich: Comics sind Literatur. Ich glaube, das ist spätestens seit Art Spiegelman 1992 den Pulitzerpreis für seine Graphic Novel Maus bekam, in der er das Leben und Überleben seiner Eltern in Auschwitz-Birkenau erzählt, recht eindeutig. Comics sind Literatur. Wenn man über Comics und Literatur spricht, dann muss man natürlich auch Goethe erwähnen. Denn Goethe – ausgerechnet Goethe – ist der erste dokumentierte Comic-Fan. 1830 hat er durch Eckermann die Bildergeschichten des Schweizer Lehrers Rodolphe Töpffer zu Gesicht bekommen. Töpffer war mit Eckermann bekannt und zeichnete diese eigentlich für sein persönliches Amüsement und das seiner Schüler. Rodolphe Töpffer gilt allgemein als der Ahnvater des modernen Comics – lange, lange vor Wilhelm Busch. Und Goethe war davon so begeistert, dass er schrieb: "Töpffer ist Original durch und durch. Es funkelt alles von Talent und Geist. Einige Blätter sind ganz unübertrefflich."
Für viele Menschen in Deutschland war und ist Faust Schullektüre. War dies auch Ihre erste Begegnung mit dem Stoff und haben Sie schon damals Zeichnungen der Charaktere in Ihr Schulheft gemalt?
Ja, der Faust – der ist mir natürlich, wie vielen anderen auch, in der Schule begegnet. Allerdings nur Faust I, wie bei den meisten. Faust II sparen sich die Schulen ja meistens. Obwohl es da, ehrlich gesagt, erst wirklich spannend wird. Ich habe in Hamburg Illustration studiert, und wenn man sich mit der Geschichte der Illustration beschäftigt, dann sind natürlich Motive aus Faust oder überhaupt teuflischer Pakte – also auch schon vor Goethe – immer wieder zu finden.
Für die Weimarer Faust Ausstellung haben Sie verschiedene Szenen gezeichnet. Welche Szene hat Ihnen am meisten Spaß gemacht und haben Sie inzwischen einen Lieblingscharakter?
Großen Spaß haben mir tatsächlich die Bilder gemacht, die die Geschichte des Homunculus erzählen – diese Reise, die er unternimmt, um das Leben quasi zu erforschen, zu begreifen und zu verstehen. Und diese Figuren, die er dabei trifft, zum Beispiel bei der klassischen Walpurgisnacht in der Antike – das sind ja teilweise wirklich großartige, surreale Szenen, mit Figuren, die sich wandeln und verwandeln.
Das hat sehr, sehr viel Spaß gemacht, war aber tatsächlich auch recht herausfordernd. Denn es ist ja so, dass der Homunculus seine gesamte Reise in einer Fiole macht. Und das – ich sage jetzt mal überspitzt – hat der Goethe sehr schnell geschrieben: dass er eben mal in einer Fiole durch die Gegend reist. Aber wenn dann ein paar hundert Jahre später ein Illustrator das lösen muss, wie denn jetzt ein Wesen in einer Fiole zum Beispiel auf den Rücken eines Delfins steigt, um mit ihm durchs Meer zu schwimmen, dann ist das doch auf einmal recht fordernd. Denn etwas, das im Text eher vage und abstrakt bleibt, muss dann konkret und bildhaft umgesetzt werden.
Bis heute produziert Faust aufseiten der Leser*innen immer wieder neue Fragen, Lesarten und Erkenntnisse. Haben Sie das Gefühl, den Stoff durch Ihre Arbeit besser verstanden zu haben?
Ja, ich habe ja selbst viele Bücher geschrieben und veröffentlicht. Und ich gehe – das ist, glaube ich, eine Berufskrankheit – immer ein bisschen mit der Sicht des Autors an alles heran, was ich lese. Was ich spannend finde an Faust – oder genauer gesagt an Faust I –, ist, dass er relativ klassisch und konventionell erzählt ist im Vergleich zu Faust II. Goethe hat ja viele Jahrzehnte an dem Werk geschrieben, und man merkt deutlich, was ihn gegen Ende seines Lebens aktuell interessiert hat: Themen wie der Deichbau, die dann im „Weltbesitz“ eine große Rolle spielen, sind eingeflossen. Und ich glaube, ein klassischer Lektor oder eine Lektorin heutzutage würde brutal streichen – im Sinne von „Kill Your Darlings“. Aber gerade diese völlige Überfrachtung im zweiten Teil, diese Fülle an Themen und Ideen, macht für mich den besonderen Reiz aus. Ich finde sogar, dass Faust I im Vergleich zu Faust II fast schon ein wenig abfällt.
Was wünschen Sie sich, das Menschen, die Faust vielleicht noch gar nicht kennen, in Ihren Bildern entdecken. Und umgekehrt: Was wünschen Sie sich, das Menschen, die Faust bereits sehr gut kennen, darin entdecken?
Nun ja, es ist ja so, dass beim Schriftsteller natürlich vor allem auf die Worte geachtet wird – das ist klar. Aber was manchmal, habe ich das Gefühl, ein bisschen außer Acht gelassen wird, ist, welche sprachlichen Bildwelten Goethe im Faust erschaffen hat. Und wie opulent, überbordend und surreal diese gerade – wie gesagt – im Faust II sind. Es macht großen Spaß, sich dort hinein zu begeben und sich diese Welt im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen zu führen: wie voll und überbordend diese Welt ist, die er geschaffen hat.

Ich habe natürlich – das ist dann mein persönlicher Spaß – auch immer wieder Querverweise in die Bilder eingebaut, die man entdecken kann oder vielleicht auch nicht entdeckt. Ein Beispiel: Auf der Karte ist das Schloss des Kaisers an das berühmte Schloss Xanadu aus Citizen Kane, dem gleichnamigen Film von Orson Welles, angelehnt. Der Karneval, der davor tanzt, orientiert sich am Totentanz aus Das siebte Siegel von Ingmar Bergman. Also ging es auch darum zu schauen: Nicht nur, wer zitiert Goethe – sondern wie kann man rückwirkend zitieren? Dinge also, die Goethe vielleicht hätte einfließen lassen, hätte er sie gekannt. Ähnlich – wie ich vorhin zum Thema Faust II und „Kill Your Darlings“ gesagt habe – habe ich vielleicht auch eigene Lieblingsthemengebiete und „Rabbit Holes“, wie etwa den Deichbau bei Goethe, unbewusst in meine Bilder einfließen lassen. Ein weiteres Beispiel: Der Mephisto ist bei mir sehr androgyn dargestellt, mit einem großen weißen Hemdkragen. Und parallel arbeite ich gerade an einem Buch über die Kindheit und die sehr, sehr traumatische Jugend von Karl Lagerfeld, das dieses Jahr noch erscheinen wird. Es entstehen also automatisch Querverweise zu meinem eigenen Œuvre. Und ich glaube, das passiert zwangsläufig, wenn man sich künstlerisch mit etwas auseinandersetzt: dass alles, woran man arbeitet, auf eine gewisse Weise miteinander verbunden ist.

Zur Person

Simon Schwartz, geboren 1982 in Erfurt, ist einer der bekanntesten deutschen Comickünstler. Er debütierte 2009 mit „drüben!“, einer Graphic Novel über die Ausreise seiner Eltern aus der DDR. Sein Buch „Packeis“ wurde 2012 mit dem Max und Moritz-Preis ausgezeichnet. Für die Stasi-Gedenkstätte in Erfurt gestaltete er den 7 x 40 Meter großen Bildfries für den „Kubus der friedlichen Revolution". 2017 und 2019 ehrte ihn der Deutsche Bundestag mit Einzelausstellungen. 2018 zeigte das Angermuseum in Erfurt erstmals eine umfassende Werkschau von Schwartz’ Arbeiten.

Simon Schwartz ist zudem Herausgeber von Die Liebesabenteuer des Monsieur Vieux Bois, ein Buch über und mit Comics von Rodolphe Töpffer.

Faust. Eine Ausstellung

Künstliche Intelligenz, das Ringen um Identität, die Krisen des Kapitalismus, Liebe und Verrat, die Kraft der Natur und die Folgen ihrer Zerstörung – all diese Punkte werden in Goethes Hauptwerk „Faust“ verhandelt und sind aktueller denn je. Besucher*innen von Faust. Eine Ausstellung können in der zentralen Ausstellung zum Themenjahr 2025 in diese und weitere Themen des Werks anschauend, hörend, lesend und mitmachend eintauchen. Immer steht dabei der Text, das sprachliche Kunstwerk, der Klang der Verse im Mittelpunkt. Hier erfahren Sie mehr.

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