Historische Fotografien erhalten

Augenzeugenschaft und Geisterbilder

19.08.2024 8

Das Goethe- und Schiller-Archiv verwahrt neben Handschriften, Briefen und Werkmanuskripten auch über 30.000 Fotografien. Eine Aufgabe des Archivs ist es, diese Bilder zu sichern, der Forschung zugänglich zu machen und für die Zukunft zu erhalten. Worauf kommt es dabei an? Ein fotografischer Werkstattbericht.

Schier unerschöpflich sind die Bestände des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. Über 150 Nachlässe von Schriftstellern, Gelehrten, Philosophen, Komponisten und bildenden Künstlern werden im ältesten Literaturarchiv Deutschlands verwahrt. Hinzu kommen 14 Archive von Verlagen, Vereinen und literarischen Gesellschaften sowie Einzelhandschriften von circa 3.000 Persönlichkeiten vom Ende des 13. bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts. Bei diesen einmaligen Quellen zur deutsch­spra­chi­gen Literatur, Musik, bildenden Kunst, Philosophie und Wissenschaft denkt man zunächst an Regale voller Papier. Doch eine weitere Quellengattung schlummert teils unentdeckt zwischen all den Schriftstücken: Fotografien!

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Fotografie eines der wichtigsten Bild­me­di­en. Im 20. Jahrhundert avancierte das Fotografieren zu einem weitverbreiteten gesellschaftlichen Phänomen. Folgerichtig schlugen sich fotografische Aufnahmen in zahlreichen Beständen des Goethe- und Schiller-Archivs nieder. Sie entstanden in privaten, öffentlichen oder kommerziellen Kontexten und dienten als Er­in­ne­rungs­stü­cke und Andenken, Illustrationen, Kommunikations- und Propagandamittel oder als Dokumentations- und Aufzeichnungsinstrumente.

Viele der im Weimarer Archiv aufbewahrten Fotos sind wertvolle historische Unikate, die ein großes Potenzial für die Forschung bergen. Um sowohl den Originalerhalt als auch die steigenden Nutzungsbedürfnisse zu erfüllen, ist eine Verbesserung der Erschließung und Bestandserhaltung der Fotografien im Weimarer Literaturarchiv unerlässlich. Durch eine umfassende vom Land Thüringen geförderte Kon­ser­vie­rungs­kam­pa­gne werden daher das visuelle Gedächtnis des Archivs und seine fo­to­gra­fi­schen Materialien nun dauerhaft gesichert, die umgebenden Handschriften ge­schützt und die Verzeichnung der Fotografien verbessert. Worauf kommt es bei diesem Projekt an, in welchem Zustand befinden sich die Fotografien aktuell, und wie koordiniert man ein Vorhaben dieser Größenordnung?

 

Das Goethe- und Schiller-Archiv verwahrt neben Handschriften, Briefen und Werkmanuskripten auch über 30.000 Fotografien (Foto: Jens Hauspurg)

Historische Fotografien sind oft zusammen mit Dokumenten überliefert, wie der Brief der Kinderbuchillustratorin Franziska Schenkel an Elisabeth Förster-Nietzsche, der zwei eingeklebte Fotos von Rudolf Schenkel enthält (GSA 72/BW 4739)

Dem Moment Dauer geben - Historische Fotografien erhalten

Wie alle Archive arbeitet das Goethe- und Schiller-Archiv nach dem Pro­ve­ni­enz­prin­zip. Das heißt, es bleibt zusammen, was überlieferungshistorisch zusammengehört. So wird der Zusammenhang zwischen dem schriftlichen Kulturgut und den Fo­to­gra­f­ien, die sich etwa in einem Familienarchiv überliefert haben, beibehalten. Fotos – einst vielleicht als Briefbeigaben mitgeschickt oder Akten beigefügt, manchmal in umgebenden Schreiben referenziert, manchmal selbst mit kurzen Schriftzügen versehen – benötigen zwangsläufig den Kontext dieses umschließenden schriftlichen Erbes. Nur so sind Rückschlüsse auf Herkunft, Entstehungshintergründe und ab­ge­bil­de­te Motive möglich.

Für das Archiv bringt dies allerdings einige Herausforderungen mit sich. Neben dem meist optimierungsbedürftigen Erschließungsstand ist dies schlicht die große Menge. Man stelle sich vor: In rund 5.700 Archivalieneinheiten des Literaturarchivs lagern 30.000 bis 35.000 historische Fotografien. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt, da der Fokus der Verzeichnung bislang hauptsächlich auf Handschriften, Werk­ma­nu­skrip­ten und Briefen lag.

Sukzessive versorgen externe Dienstleister mit ausgewiesener fotorestauratorischer Fachkompetenz in den Werkstatträumen des Weimarer Archivs die Fotografien. Aufgrund der Streuung über viele Archivbestände wäre eine andere Arbeitsweise nicht realisierbar. Nur wenige Materialien lassen sich außer Haus versorgen. Eng­ma­schig wird die gesamte Maßnahme vom Fachbereich Bestandserhaltung begleitet. Einen großen Beitrag leistet dabei der Magazindienst des Goethe- und Schiller-Archivs mit dem Auswählen, Ausheben, Vorlegen und Reponieren der betreffenden Archivalieneinheiten. Parallel dazu optimiert ein Team von Archivarinnen und Prak­ti­kan­tin­nen akribisch die Erschließung der Fotos über die Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs, um den Nutzungskomfort für Wissenschaft und Forschung zu verbessern.

Arbeitstrias: Restaurierung von Fotografien

Historisch bedingt weisen viele der Fotografien starke Verschmutzungen und unzureichende oder gar keine Verpackungen auf, was dem Erhalt massiv ent­ge­gen­wirkt. Denn schlecht verpackte oder stark verunreinigte Fotos sind nicht nur in sich gefährdet, sondern bergen auch ein Risiko für die umgebenden Archivalien sowie für Nutzerinnen und Nutzer. Fortgeschrittene Schadensbilder und teilweise mikrobielle Belastungen begründen also den dringenden Handlungsbedarf zur Erhaltung der Originalsubstanz und zur Ermöglichung der Nutzung für Wissenschaft und For­schung. Welche Schritte umfasst die Restaurierung historischer Fotografien?

1 | Erfassen und Messen

Zuerst nehmen die Fotorestauratorinnen eine Analyse der fotografischen Objekte vor und betrachten dabei alle technischen Aspekte und materiellen Eigenschaften. Die Begutachtung erfolgt visuell, bei Bedarf mit optischer Vergrößerung. Anhand der Materialität des Trägers und der Bildschicht lässt sich meist zweifelsfrei die fo­to­gra­fi­sche Technik erkennen. Sie wird, ebenso wie die Maße und die Schadenserfassung, in der Archivdatenbank dokumentiert.

2 | Reinigen

Die Verschmutzungsgrade sind äußert divers. Sie reichen von grobem Schmutz bis hin zu sehr feinen Stäuben, die oft mit mikrobiellen Belastungen einhergehen. Diese Kontaminationen stellen ein Gefährdungspotential in punkto Gesundheits- und Arbeitsschutz für Mitarbeiter*innen und Nutzer*innen dar und gefährden die Fotomaterialien als auch die umgebenden historischen Handschriften und andere Archivaliengattungen im Magazinbereich. 

Daher ist es unerlässlich, die Fotos professionell und gründlich zu reinigen. Dies geschieht – je nach Fototechnik und Zustand – mit sehr feinen Mikrofasertüchern. Mit diesen Läppchen entfernen die Restauratorinnen alle lose aufliegenden Ver­un­rei­ni­gun­gen, ohne die teils sehr empfindlichen Oberflächen zu beeinträchtigen. Für die Reinigung der Rückseiten und der Ränder kommen verschiedene Rei­ni­gungs­schwäm­me zum Einsatz. Verschmutzungen auf der Rückseite werden mitunter auch ab­ra­diert. Festsitzende Partikel heben die Restauratorinnen sogar mit einer Klinge ab. Neben dieser trockenen Oberflächenreinigung ist bei einigen zum Beispiel mit Ruß verschmutzten Fotografien mitunter eine Feuchtreinigung mit einem Wasser-Ethanol-Gemisch notwendig, wobei dies nur bei bestimmten Fototechniken angewandt werden kann. Bei Verdacht auf mikrobiellen Befall geschieht die Reinigung unter der Absauganlage, damit keine Schadstoffe in die Raumluft gelangen.

3 | Verpacken

Für eine konservatorisch geeignete Archivierung benötigt jede Fotografie eine eigene Umverpackung, die sie vor äußeren Einflüssen, wie Licht, Verschmutzung und anderen schädigenden Substanzen schützt. Die Art der Umverpackung muss im Format passend sein und vom Material her eine schützende Funktion übernehmen. Es kann sich dabei um eine Hülle, einen Umschlag oder ein Ablageblatt idealerweise aus PAT-getestetem Fotoarchivpapier handeln. Papier als Hüllenmaterial hat den großen Vorteil, dass es Schwankungen in der Luftfeuchtigkeit ausgleichen kann und vor Licht schützt. Zudem kann es gut mit Bleistift beschriftet werden.

Befinden sich mehrere Fotografien in einem Archivale, bietet es sich an, eine zusätzliche Jurismappe mit drei Klappen im Format der Fotografien einzusetzen. Diese hält die Fotografien in der Archivalieneinheit zusammen. Bei in Handschriften und Schriftgut eingeklebten Fotografien sowie bei in Büchern oder Fotoalben eingebundener Überlieferung ist ein lose eingelegtes Zwischenlagepapier er­for­der­lich. Dieses schützt die Fotografie generell vor Abrieb und dem Abdruck der gegenüberliegenden Seite.

Wenn erforderlich, erfolgt eine gesamtheitliche zweite Umverpackung in Form einer stabileren Mappe oder Box. Das Material der äußeren Verpackung muss ebenfalls archivsicher sein und kann im Gegensatz zur inneren Umhüllung auch gepuffert sein. So werden schädigende Substanzen, wie sie beim Abbau von säurehaltigem Papier entstehen, abgefangen und neutralisiert. Die äußere Verpackung dient zudem als mechanischer Schutz.

Die Art der Umverpackung muss passend sein und eine schützende Funktion übernehmen

Materialdiversität

Da die Fotografien Bestandteile der Mischbestände sind, zeichnen sie sich nicht nur motivmäßig sondern auch materialtechnisch durch eine große Diversität aus. Verteilt lagern sie in den Archivbeständen, meist zwischen Schriftgut wie Briefen, Ma­nu­skrip­ten und Zeichnungen, seltener zwischen Zeitungen und Drucken. Die Anzahl der Fotografien in den Archivalieneinheiten variiert dabei von einzelnen Porträtfotos bis hin zu kleineren Gruppen oder Serien von Fotografien.

Die Fotografien bilden die gängigen fotografischen Verfahren seit zirka 1850 ab, fast ließe sich hieran eine lückenlose Geschichte der Fototechniken ableiten. Von Fer­ro­ty­pi­en (das sind Fotografien im nassen Kollodiumverfahren auf lackierten Ei­sen­ble­chen), über sehr frühe Abzüge auf Schmuckkarton aufgezogen (Carte de Visite und alle anderen Größen dieser Gattung) sowie frühe Gelatine-Gaslichtpapiere bis zu seit den 1960er Jahren üblichen und herkömmlichen Silbergelatineabzügen und neueren Farbabzügen auf PE-Papier liegt eine Vielzahl von fotografischen Verfahren vor.

Sehr häufig kommen Fotos im sogenannten Visitformat (Carte de Visite) in den Beständen des Goethe- und Schiller-Archivs vor. Carte de Visite sind Fotografien, die auf einem meist schmuckvoll verzierten Karton in Größe einer Visitenkarte zirka 6 x 9 cm aufgeklebt sind. Ab 1860 kamen sie sehr in Mode. Dank optimierter Her­stel­lungs­tech­nik konnten sie damals zu einem erschwinglichen Preis angeboten werden. Es war sehr en vogue, seine Fotografie als Visitenkarte weiterzureichen. Auf diese Weise haben die Carte de Visite maßgeblich zur Verbreitung der Fotografie beigetragen.

Im Laufe der Zeit wurden zur Herstellung ganz unterschiedliche fotografische Techniken verwendet. Im Bestand des Goethe- und Schiller-Archivs finden sich Carte de Viste Fotografien hauptsächlich als Albumin- und Kollodiumpapier, daneben auch in kleinerer Anzahl Gelatinesilberpapier. Neben dem Visite-Format gibt es eine ganze Bandbreite von kleineren und größeren Formaten. Das zweit häufigstes Format ist die fast doppelt so große Carte Cabinet mit den Maßen von zirka 10 x 16 cm.

Vielfalt der Schäden

Jedes Foto hat seine ganz eigene Geschichte, manche sind bereits über 180 Jahre alt. Für das sensible Material ist das ein beachtlicher Zeitraum. Was alle Fotografien eint, ist ihre große Empfindlichkeit. Schlechte Lagerungsbedingungen bei den Vorbesitzern sowie falsche Handhabungen hinterließen deutliche Spuren. Teilweise kommen chemische Veränderungen in den Bildbereichen vor, darunter Vergilbungen, Verblassen und Aussilbern. Einige der Fotografien haben Schäden, die auf me­cha­ni­sche Belastungen und Beeinträchtigungen zurückzuführen sind. So vielfältig wie die Fototechniken sind demnach auch die auftauchenden Schadensbilder.

Geisterbilder

Mitunter bringen historische Fotos seltsame Phänomene mit sich. Die Rede ist von Geisterbildern! Diese sehen aus wie direkte Abdrücke einer Fotografie auf dem darauf liegenden Papier. Hauptsächlich entstehen solche Geisterbilder bei Pla­tin­dru­cken oder bei mit platingetonten matten Kollodium- oder Sil­ber­ge­la­ti­ne­fo­to­gra­fi­en. Das Platin wirkt katalytisch auf den Abbau der Celluosefasern im Papier. Gerade minderwertiges Papier mit einem hohen Ligninanteil ist davon betroffen. Die Pa­pier­fa­sern, die sich in direktem Kontakt mit dem Platindruck befinden, vergilben und ergeben somit ein blasses Abbild. Da Platindrucke nach der Herstellung aus Schutz vor Abrieb oft in Mappen eingeklebt wurden, finden sich dort meist auch Geis­ter­bil­der. Das Phänomen eignet sich gut als Erkennungsmerkmal. Denn in Bücher oder Alben eingeklebte Platindrucke kann man anhand eines Geisterbildes gut identifizieren. Zuweilen lassen sich auch bei in Stapeln aufbewahrten Fotografien rückseitig Abbilder anderer Fotografien erkennen.

Platindrucke gehören zu den fotografischen Edeldruck-Verfahren. Das licht­emp­find­li­che Material ist Eisenchlorid, an welches sich im Entwicklungsprozess Pla­tin­ver­bin­dun­gen anlagern. Platindrucke sind an sich sehr stabil und haltbar, da nur sehr hochwertiges Papier für die Herstellung in Frage kam.

Fotoalben als Sonderüberlieferung

Vereinzelt kommen in den Beständen des Goethe- und Schiller-Archivs auch Fotoalben vor. Dies ist naturgemäß vor allem in Familienbeständen der Fall, wo private Alben als autobiographische Quellen individuelle Lebens- und Fa­mi­li­en­ge­schich­ten festhalten und erzählen. Bei den Fotoalben handelt es sich entweder um historische Schmuckexemplare, handgefertigte Alben oder neuere Alben mit Kunststoffhüllen zum Einstecken der Fotos.

 

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