Curt Stoeving: Friedrich Nietzsche auf der Veranda in Naumburg, 1894 © Klassik Stiftung, Weimar
Vom Porträt zur Ikone
Die Online-Datenbank NietzschePics
Ein Mann, ein Schnauzbart: Selbst ohne weitere Kenntnis seiner Werke dürfte das Antlitz Friedrich Nietzsches den meisten bekannt sein. Zu verdanken ist dies vor allem Elisabeth Förster-Nietzsche, die massiven Einfluss auf die Darstellung und Rezeption ihres Bruders nahm. Mit der Online-Datenbank NietzschePics erfahren Sie mehr zur künstlerischen Auseinandersetzung mit einem der radikalsten Vordenker der Moderne und der rigiden Bildpolitik seiner Nachlassverwalterin.
Friedrich Nietzsche war Philologe, Dichter, Musiker und vor allem Philosoph. Während viele Vertreter*innen seiner Zunft in weiten Kreisen nur dem Namen nach bekannt oder sogar gänzlich unbekannt sind, ist Friedrich Nietzsche populär, im wahrsten Sinne des Wortes. Beinahe jede*r kennt einen Ausspruch des Philosophen, wenn auch nicht immer im Wissen, was es mit diesem wirklich auf sich hat. „Gott ist tot“ ist vermutlich sein berühmtestes Zitat. Zudem ist Friedrich Nietzsches Gesicht mit dem prägnanten Schnauzbart zur Ikone geworden. Es findet sich auf T-Shirts, Tassen und Postern, vergleichbar mit den Bildnissen von Marilyn Monroe oder Albert Einstein. Seine Popularität ist erstaunlich, aber keinesfalls zufällig.
Am 2. Februar 1894 gründete seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche in Naumburg das Nietzsche-Archiv. Die ab 1896 in Weimar ansässige Einrichtung förderte unter ihrer Leiterin die Verehrung von Friedrich Nietzsche und dessen Stilisierung in den bildenden Künsten, die den Weg vom Porträt zur Ikone ebnete. Diese gesteuerte, wenngleich niemals vollständig kontrollierte Bildpolitik zu erforschen, war ein Ziel der Fallstudie Kunst und Memoria im Rahmen des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel. Als Ergebnis dieser Forschungen entstand die Online-Datenbank NietzschePics.
Vom unbekannten Denker…
Friedrich Nietzsche ist eine der meist porträtierten Persönlichkeiten seiner Epoche. Allerdings: Aus der Zeit vor seinem „geistigen Zusammenbruch“ in Turin im Jahr 1889 – in dessen Folge er bis zu seinem Tod ein Pflegefall blieb – existiert kein Gemälde, keine Zeichnung, keine Statue oder Büste. Bis 1889 in weiten Kreisen nahezu unbekannt, regte er Künstler*innen nicht dazu an, ein Porträt von ihm anzufertigen, schon wegen der geringen Aussicht auf Verkaufserlöse mit dem Bildnis eines unbekannten Philosophen. Friedrich Nietzsche wiederum bevorzugte die moderne Technik der Fotografie und beauftrage selbst keine Künstler*innen. In einem Schreiben an seinen Verleger Ernst Schmeitzner von 1882 urteilte er über zwei Aufnahmen des Naumburger Fotografen Gustav Schultze: „besser kann’s ein Maler nicht machen.“ Einige der Fotografien dienten später aber als Vorlagen für künstlerische Porträts.
…zum Kult-Philosoph der Moderne
Mit dem wachsenden Ruhm des kranken Philosophen ab den 1890er-Jahren, der sich zu einem wahren Kult entwickelte, änderte sich die künstlerische Rezeption aber radikal und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Sujet ‚Friedrich Nietzsche‘ begann, die bis heute andauert. Rasch stellte sich dabei die Frage, wie der Philosoph zu porträtieren sei: Als kranker Mann, der er nun war, oder als genialer Denker vergangener Tage? Als eine Art ‚Übermensch‘ oder als Abbild seines weisen Zarathustra? Der Porträtierte selbst besaß – „geistig umnachtet“ – keinen Einfluss auf die Darstellung seiner Person. Umso größer war der Einfluss seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche. Die „Prinzessin von Neu-Germanien“ kehrte nach dem Scheitern des von ihrem Ehemann Bernhard Förster initiierten Siedlungsunternehmens in Paraguay und dem mutmaßlichen Selbstmord des Gründers 1893 als Witwe zurück nach Naumburg. Sie widmete sich fortan auf eigenwillige Weise der Sammlung und Herausgabe der Schriften ihres Bruders sowie dessen wachsender Verehrung.
Ein erstes Bildnis – und kein Ende
In Naumburg entstand im Jahr 1894 anlässlich Friedrich Nietzsches 50. Geburtstag und der Gründung des Nietzsche-Archivs das erste Gemälde, wofür Elisabeth Förster-Nietzsche den Künstler Curt Stoeving beauftragte. Der Berliner malte basierend auf Messungen und Fotografien zwei Porträts, die Friedrich Nietzsche auf der Veranda am Haus der Mutter zeigen, wo der Kranke gerne verweilte. Wie der Vergleich mit der Fotografie belegt, versuchte Curt Stoeving die äußeren Symptome der Krankheit zu beschönigen. Während Elisabeth Förster-Nietzsche begeistert war, entsprach es den Vorstellungen von Franziska Nietzsche gar nicht, wie sich die Mutter sogar vom behandelnden Arzt bestätigen ließ: „… die Stirne trüge eine fahle Farbe und nicht die prächtig gesunde Gesichtsfarbe des Herrn Professors, graues Haar und er hat doch kein einziges auf dem Kopfe, vorstehende Backenknochen eine Nasenspitze fast auf den Lippen liegend, und so krank aussehend, wie er nicht annährend in seinen schlimmsten Tagen sieht.“
1896 zog Elisabeth Förster-Nietzsche mit dem Nietzsche-Archiv nach Weimar, um vom Renommee der Klassikerstadt zu profitieren. Nach dem Tod ihrer Mutter Franziska ein Jahr später holte sie ihren Bruder nach, mit dem sie fortan die „Villa Silberblick“ bewohnte. In rascher Folge entstanden weitere Porträts des kranken beziehungsweise ab 1900 verstorbenen Philosophen – in Auftrag oder in Absprache mit der Schwester. Sie nahm fortan auch auf vermeintlich kleine Details Einfluss und verlangte von den Künstler*innen notfalls nachträgliche Änderungen. Hans Olde musste beispielsweise das Kinn seiner berühmten Radierung abwandeln; Karl Bauer korrigierte auf Wunsch der Schwester die angeblich zu hohe Stirn seiner Lithografie und von Max Kruse verlangte sie die Porträtbüste als „Zarathustra“ zu betiteln. Weil die Rezeption der Werke stark von Elisabeth Förster-Nietzsches Wohlwollen abhing, kamen die Künstler*innen den Anweisungen zumeist nach – wenn auch mitunter widerwillig. Hans Olde beispielsweise bezeichnete die geforderte Änderung als „Verhunzung“.
Im schriftlichen Austausch baute Elisabeth Förster-Nietzsche fortan sowohl ihren Einfluss auf die Darstellung und Rezeption ihres Bruders als auch die eigene Rolle weiter aus. Mit strategischem Geschick verwies sie etwa Edvard Munch auf ihre eigens verfasste Biografie, nachdem dieser nach einer detaillierten Beschreibung Friedrich Nietzsches gefragt hatte.
Auf Dauer ließ sich die vollständige Kontrolle über die Darstellungsweise aber nicht aufrechterhalten: Künstler*innen befassten sich eigenständig mit dem Bild des Philosophen, dessen Schriften inzwischen stark rezipiert wurden und dabei besonders in literarischen und künstlerischen Kreisen en Vogue waren. Die Frage nach der ‚richtigen‘ Darstellung beantworteten sie dabei sehr unterschiedlich – mit ebenso unterschiedlichen Techniken wie Materialien. In den folgenden Jahrzehnten entstanden Gemälde und Grafiken, Statuetten und Büsten, Plaketten und Medaillen. Stilistisch reicht die Bandbreite von Realismus über Jugendstil bis zum Expressionismus.
Viele der Porträts gelangten durch Ankauf oder Schenkung in den Bestand des Nietzsche-Archivs. Aufbewahrt wurden zudem die Briefwechsel zwischen Elisabeth Förster-Nietzsche und den Künstler*innen sowie Fotografien von Kunstwerken, die sich andernorts befinden.
Das Projekt NietzschePics
Nach 1945 wurde das Nietzsche-Archiv aufgrund dessen Verbindungen mit den italienischen Faschisten und deutschen Nationalsozialisten von den Behörden geschlossen. Die Porträts gelangten (zusammen mit dem gesamten dinglichen Nachlass) in den Bestand der Museen der Vorgängereinrichtung der Klassik Stiftung Weimar. Die Briefwechsel wurden mit dem schriftlichen Nachlass Friedrich Nietzsches an das Goethe- und Schiller-Archiv übergeben. Weil der Philosoph in der DDR als Vordenker des Nationalsozialismus galt, erfolgte für lange Zeit keine intensive Erforschung der Kunstwerke und Briefwechsel. Erst 1984 erschien von Jürgen Krause eine wissenschaftliche Studie zum Nietzsche-Kult in der bildenden Kunst der Jahrhundertwende. Nach 1990 wurden dann einzelne, vor allem bedeutende Werke, wie die von Max Klinger und Hans Olde, genauer erforscht und prominent ausgestellt. Auch die von Henry van de Velde umgestalteten Räume im Nietzsche-Archiv wurden wiedereingerichtet und für die Öffentlichkeit als Museum zugänglich gemacht.
Viele Kunstwerke sowie Briefe und Fotografien, insbesondere der weniger bekannten und unbekannten Künstler*innen, wurden aber vernachlässigt und erst im Rahmen des Projekts NietzschePics systematisch verglichen und vollständig digitalisiert. Bei den Kunstwerken wurde der Fokus dabei zunächst auf die Bestände der Klassik Stiftung Weimar gerichtet, aber später auch erweitert um Werke in anderen Museen, Bibliotheken, Archiven und Privatsammlungen in Deutschland und Europa.
NietzschePics erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, doch enthält die Online-Datenbank eine repräsentative Auswahl von über 300 bekannten wie auch weitgehend unbekannten Nietzsche-Bildnissen bis 1945 sowie über 500 Briefe, die in Zusammenhang mit der Entstehung von Bildnissen geschrieben wurden – vor allem zwischen Elisabeth Förster-Nietzsche und den Künstler*innen. Die Bildnisse sind dabei mit den Briefen sowie untereinander vernetzt: Sie basieren aufeinander oder wurden fotografisch reproduziert, teilweise kann die Entwicklung von einem ersten Entwurf bis zum fertigen Werk nachvollzogen werden.
Die Inhalte der Datenbank lassen sich auf verschiedene Weise erschließen. Neben der Suche (zum Beispiel nach Person, Datum, Technik oder Schlagwort) ist die Filterung nach Gattungen möglich. Zudem können wahlweise alle Werke, die in Verbindung mit einer Person (zum Beispiel Künstler oder Briefeschreiberin) stehen, oder auch alle Werke, die sich in den Beständen einer Institution (zum Beispiel Klassik Stiftung Weimar, Museen) befinden, angezeigt werden.
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