Max Beckmann und Leo Putz

Gemäldetausch mit Pinakothek der Moderne

Art: Artikel Autor: Isabel Pfeifer
16.01.2023 8

Das bekannte Gemälde von Max Beckmann Junge Männer am Meer (1905) ist auf Reisen, noch bis Ende März 2023 wird es in der Münchner Pinakothek der Moderne im Rahmen der Sonderausstellung Max Beckmann – Departure zu sehen sein. Seinen zentralen Platz im Oberlichtsaal des Museums Neues Weimar nimmt dafür Picknick (1904) von Leo Putz ein, Mitglied der Münchener Secession und seit 1899 auch Vertreter der Künstlervereinigung „Die Scholle“. Isabel Pfeifer, Studentin der Kunstgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, nähert sich den beiden Malereien in einem essayistischen Vergleich an.

Die breit ausgedehnte Szenerie von Junge Männer am Meer ist eingetaucht in ein graues, ungemütliches Licht. Aus dem Westen ziehen bedrohlich dunkle Wolken auf, ein Gewitter scheint also nicht mehr weit entfernt zu sein. Doch davon lassen sich die Strandbesucher nicht stören. Ganz im Gegenteil: Vereinzelt fahren Schiffe dem Horizont entgegen, im tosenden Meer baden einige Mutige und in der Bildmitte lassen sich miteinander ringende Gestalten erkennen.

Das Bild greift mit den sechs Männerakten im Vordergrund der schmalen Raumbühne ein traditionelles Thema der „Figur in der Landschaft“ auf. Aufgrund ihrer parallelen Haltung zueinander hatte der Künstler die Möglichkeit, den nackten männlichen Körper von allen Seiten darzustellen. Dabei sticht insbesondere der knabenhafte Junge mit einer Flöte am rechten Bildrand heraus. In klassischer Manier ist er ein Relikt eines ursprünglich geplanten Doppelbildes. Hier dachte Beckmann anfangs an eine Art Diptychon mit einem Jünglings- und einem Frauenreigen am Meer, die sich ausgelassen bei Musik und Tanz gegenüberstehen sollten.

Traumhaft und ekstatisch anmutend, den Ausdruck eines dionysischen Lebens­ge­fühls verkörpernd, war die Bildidee des Tanzes beeinflusst von Friedrich Nietzsches Philosophie. Wie wir heute wissen, setzte sie sich letztendlich nicht durch. Nur der Flöte spielende Jüngling lässt noch erahnen, welche Überlegungen sich einmal dahinter verborgen haben könnten.

Max Beckmann (1884-1950), Junge Männer am Meer, 1905, Öl auf Leinwand, Klassik Stiftung Weimar

»Traumhaft und ekstatisch – Beckmanns ursprüngliche Bildidee des Tanzes war beeinflusst von Friedrich Nietzsches Philosophie«

Tatsächlich ist Beckmann für sein erstes großformatiges Gemälde von früheren Aufenthalten auf der Nord­see­insel Amrum und von der Ostsee inspiriert. Seine intensive Beschäftigung mit Na­tur­ein­drücken und sein ausgeprägtes Interesse an landschaftlichen Szenerien durch­ziehen das gesamte Schaffen des Malers. Die Grundlage dafür bildete sicherlich seine Weimarer Studienzeit an der Kunstschule (1900-03). Hier belegte er die Natur­klasse und stand damit unter dem Einfluss seines Lehrers Carl Frithjof Smith, einem norwegischen Maler.

In Weimar schuf der begabte Student vor allem kleinformatige Landschaften (die er später wieder größtenteils zerstörte) und beschloss dann, sein Studium in Paris fortzusetzen. Dort befasste er sich mit den Werken der Impressionisten, vor allem Paul Cézannes, aber auch mit den neuesten Trends seiner Zeit. Jedoch konnte Beckmann den Neoimpressionisten und ihrer Vorliebe für die Malerei mit detailliert gesetzten Punkten („Pointillismus“) nichts abgewinnen und lehnte diese Stilrichtung für sich selbst schnell wieder ab.

Zahlreiche Skizzen belegen, dass er bereits während des Pariser Aufenthalts (1903–04) an der großen Komposition arbeitete, in der sich bei ihm erstmalig Figuren- und Landschaftsbild vereinen. Allerdings vollendete Beckmann sein Werk erst 1905, nach seiner Rückkehr in Berlin, wo er sich für einige Zeit wahlweise niedergelassen hatte und Mitglied der Berliner Secession (1906–13) wurde. Ein Jahr später, mit gerade einmal 22 Jahren, reichte er das Gemälde für die 3. Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes im Großherzoglichen Museum von Weimar ein.

Mit den männlichen Akten in der Gewitterszene zog der bis dato noch unbekannte junge Mann die Aufmerksamkeit des Mäzens Harry Graf Kessler auf sich. Letztlich verdankt Beckmann ihm den Beginn seiner Künstlerkarriere. Denn Kessler war es, der sich nicht nur für die Vergabe eines Stipendiums an Beckmann einsetzte, sondern darüber hinaus das Werk für sein Museum ankaufen ließ.

Beckmanns Faszination für den männlichen Körper und das Zelebrieren eines ungewohnten Freiheitsgefühls könnte auf die Lebensreformbewegung um 1900 zurückzuführen sein. Die neue Körperwahrnehmung und das Streben nach einer naturnahen Lebensweise zeigt sich in den sich bewegenden Männern, die in der Ferne förmlich mit der Gischt verschwimmen zu scheinen.

Seine Präferenz für die rau-herbe Schönheit des kühlen Nordens kann wiederum als eine Oppositionshaltung gegenüber der sprichwörtlich deutschen Vorliebe für Italien verstanden werden. Viele seiner Zeitgenossen bevorzugten das mediterrane Klima als Gegenstand ihrer Bilder und nutzten dafür zahlreich das idyllisch anmutende Motiv „Badende vor arkadischer Kulisse“. So auch das exemplarische Werk L´heure embrasée (1897) von Théo van Rysselberghe.

Théo van Rysselberghe (1862-1926), L'heure embrasée, 1897, Öl auf Leinwand, Klassik Stiftung Weimar

Der wohl bedeutendste Vertreter des belgischen Pointillismus zeigt auf seinem großformatigen Gemälde eine Gruppe badender Frauenakte im goldenen südlichen Licht des Mittelmeeres. Auch dieses Bildnis konnte Kessler für sein Museum in Weimar erwerben, weshalb es heute als „Gegensatz“ zu Beckmanns Werk in ein und demselben Saal hängt.

Doch geht es in beiden Darstellungen nicht zuletzt um Freiheitssehnsüchte, also der Sehnsucht nach einem ungezwungenen Verhältnis zum eigenen Körper, dem natürlichen Nacktsein jenseits der lasziven Erotik, wie sie in der akademischen Praxis zu jener Zeit allgegenwärtig war? Und wird nicht sowohl in der nördlich-herben Landschaft der See als auch in der südlichen Landschaft des Mittelmeeres ein lebhafter Utopiegedanke deutlich – mit der Inszenierung einer idealen Verbindung von Menschsein und Natur, ganz ursprünglich und im Gleichgewicht?

»Sowohl in Beckmanns als auch in Rysselberghes Landschaften wird ein lebhafter Freiheits- und Utopiegedanke deutlich.«

Ein „Stück Natur“ unter freiem Himmel zeigt sich auch in dem Gemälde Picknick von Leo Putz, das nahezu in quadratischer Form angelegt ist. Hier sitzen drei bürgerlich gekleidete Menschen im hohen Gras. Sie haben sich ein besonders schattiges Plätzchen für ihr Picknick ausgesucht, unter dem dichten Blätterdach einer Kastanie. Nur an wenigen Stellen finden die Sonnenstrahlen ihren Weg durch das grüne Geäst und sorgen damit für belebende Lichtpunkte.

Ein junger Herr im blauen Jackett liegt mit seinem Unterkörper auf der Wiese, wäh­rend er aus seinem Bowlengläschen trinkt und dabei zu einer Dame mit Hut schaut. Sie sitzt fast aufrecht neben ihm, mit einer Hand auf dem satten Grün abstützend. Geschmeidig fügt sich ihr altrosafarbenes Rüschenkleid in die von Wildblumen um­gebene Szenerie ein. Mit der anderen Hand prostet sie ihm höflich zu, als wolle sie mit ihm auf einen gelungenen Tag anstoßen.

Im Vordergrund beugt sich eine zweite junge Frau, ebenfalls adrett in einem creme­farbenen Kleid sitzend, nach vorne, um mit ihrem ausgestreckten Arm etwas zu er­haschen, das aussieht wie ein Schokoküchlein. Bei längerer Betrachtung ihrer schein­bar hastigen Bewegung kann der Gedanke aufkommen, als habe sie sehnsüchtig auf ihr Lieblingsgebäck gewartet.

Der Künstler erweckt mit seiner Anordnung den Anschein eines gekonnt inszenierten Stilllebens: Etwas abseits liegen unscheinbar im linken Bildrand drei Weinflaschen auf der Wiese und streifen dabei die weiße Decke. Ein bauchiges Bowlengefäß mit Kelle und Deckel, buntgemusterte Teller sowie frisches Obst runden das Picknickgedeck ab. Letzteres ist so positioniert, als würde es gleich aus dem unteren Bildrand fallen.

Die Stimmung der Drei ist fröhlich, sie nehmen keinerlei Blickkontakt mit den Betrachtenden auf. Daher wirkt das Gemälde wie ein Schnappschuss, ein flüchtiger Moment, der auf Leinwand festgehalten wurde. Putz selbst bezeichnet das Jahr 1901 als Beginn seiner impressionistischen Phase.

Leo Putz (1869-1940), Picknick, 1904, Öl auf Leinwand, 187.5 x 195.5 cm

»Die intensiv leuchtenden Farben sind mit einem breiten, aber lockeren Pinselstrich aufgetragen. Lichteffekte, Bewegungsrhythmus und Farbkomposition verweisen bei Putz auf Einflüsse des französischen Impressionismus.«

Mit der Fertigstellung von Picknick im Jahr 1904 greift Putz das Sujet „Frühstück im Grünen“ beziehungsweise „im Freien“ auf. Hierbei handelt es sich um ein tra­di­ti­o­nelles Bildprogramm, das in der Kunstgeschichte über die Jahrhunderte hinweg vorkommt. In diesem Zusammenhang ist das impressionistische Gemälde Le déjeuner sur l’herbe (1863) von Édouard Manet berühmt-berüchtigt.

Édouard Manet (1832-1883), Le déjeuner sur l'herbe, 1863, Huile sur toile, 207x265 cm. Musée d'Orsay, Donation Etienne Moreau-Nélaton, 1906. Musée d'Orsay, Dist. RMN-Grand Palais / Patrice Schmidt.

Aus heutiger Perspektive könnte man annehmen, dass Manet hier eine realistische Szene abbildet, die das Freizeitverhalten der modernen Pariser Gesellschaft vor der Jahrhundertwende zeigt. Doch dieser Anschein trügt, denn eigentlich verbirgt sich hinter der Personenkonstellation eine intendierte Provokation. Brisant ist nicht nur der harte Kontrast zwischen den beiden nackten beziehungsweise nur halb­bekleideten Frauen und ihren zwei männlichen Begleitern, die vornehm wie die Dandys der Großstadt gekleidet sind, sondern auch der Fakt, dass es sich hier um eine Zurschaustellung Manets persönlicher Vierecksbeziehung handelt.

Und als wäre das nicht schon herausfordernd genug, wählte Manet für sein Gruppenbild dieselbe Komposition, die ursprünglich aus einem Meisterwerk der italienischen Renaissance stammte (Das Urteil des Paris, Raffaelum 1515). Jedoch existiert bei ihm kein mythologischer oder religiöser Hintergrund, weshalb die Darstellung als moralisch zügellos und äußerst provokativ aufgefasst wurde. Kurz nach seiner Fertigstellung im Jahr 1863 landete das Gemälde prompt im Pariser Salon der Zurückgewiesenen.

Doch ausgerechnet diese Art der „Verbannung“ verschaffte dem Künstler schon frühzeitig Aufmerksamkeit. Auch heute noch gilt Édouard Manet als ein Wegbereiter der Moderne in Frankreich, da er mit seiner Malerei die klassische Tradition infrage stellte. Geschickt überführte er die „alte Kunst“ mit autobiographischen Bildinhalten und modernen Lebenswelten in die Gegenwart des späten 19. Jahrhunderts.

»Manet gilt als ein Wegbereiter der modernen Kunst, da er mit seiner Malerei die klassische Tradition infrage stellte.«

Bei Leo Putz existieren dagegen weder Provokation noch Utopie. Seine Arbeit ist im Vergleich zu einem Max Beckmann inhaltlich durch Einfachheit gekennzeichnet. Nur bei der Ausführung lässt sich eine Gemeinsamkeit feststellen: Sowohl Picknick, als auch Junge Männer am Meer sind in einer Fleckenmalerei umgesetzt worden, die mit ihren breiteren Farbstrichen eine Weiterentwicklung zu dem impressionistischen, kommaförmigen Pinselduktus darstellt. Dieser Unterschied in der Malweise sticht besonders hervor, wenn Claude Monets impressionistische Bilderserie Kathedrale von Rouen (1892–94) gegenübergestellt wird, von der ebenfalls ein Exemplar im Museum Neues Weimar zu sehen ist. 

Obwohl die beiden Gemälde von Beckmann und Putz dem Oberthema „Beziehung von Mensch und Natur“ zugeordnet werden können, sind sie augenscheinlich durch verschiedene Weltbilder gekennzeichnet. So bildet Putz städtische Menschen in der gezähmten Natur ab, im Gegensatz zu den archaisch nackten Männern, die sich in Beckmanns ursprünglicher, ja fast schon bedrohlich wirkender Natur wiederfinden.

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