
Kunst der Reformationszeit
Wie viel Cranach steckt in der Weimarer Lutherbibel?
Kunsthistoriker Sebastian Dohe geht den kunstvollen Illustrationen in Luthers Bibelübersetzung von 1534 nach.

Lucas Cranach d. Ä. und unbekannter Maler, Sitzender Josua, aus: Biblia, das ist, die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Mart.Luth., Bd. 1, gedruckt in Wittenberg 1534 durch Hans Lufft. (Signatur: Cl I : 58 [b], Foto: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek)
Die Weimarer Lutherbibel ist eines der kostbarsten Objekte der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und eng mit ihrer modernen Geschichte verwoben. Die zweibändige Gesamtausgabe von 1534 enthält zahlreiche Illustrationen, die nachträglich aufwendig koloriert wurden. Aus der brennenden Bibliothek wurden 2004 beide Bände gerettet und sind seit 2015 Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes. In der neuen Ausstellung Cranachs Bilderfluten gehören sie zu den Highlights. Ein Buch also voller Illustrationen von Lucas Cranach d.Ä. – ließe sich meinen, aber tatsächlich stammt nur ein Holzschnitt darin von Lucas Cranach d. Ä. selbst, das Deckblatt für den zweiten Teil des Alten Testaments mit einem sitzenden Josua. Dennoch verrät das Buch einiges über Cranach – seinen Stil, seine Kunst, Text in Bilder zu übersetzen, seine Produktionsstrategien und über die Arbeitsteilung seiner Künstlerwerkstatt.
Cranach in der Weimarer Lutherbibel
Die erste Luther-Gesamtausgabe war ein verlegerisches Großprojekt. Nach der Übersetzung des Neuen Testaments auf der Wartburg hatte Luther sukzessive die anderen Bücher der Bibel übersetzt, wobei die Einzelausgaben gelegentlich mit Illustrationen der Cranach-Werkstatt versehen worden waren. Das Interesse von Lucas Cranach d. Ä. an Buchillustrationen nahm aber allmählich ab. Hatte er selbst noch das September- und Dezembertestament mitverlegt und mit seiner Werkstatt die beiden Teile des Alten Testaments 1523 und 1524 illustriert, zierten die von Mitte bis Ende der 1520er Jahre erschienen Übersetzungen der Prophetenbücher des Alten Testaments nur noch Titelblätter von Werkstattmitarbeitern. Für eine Gesamtausgabe stellte sich also die Frage: Waren Lucas Cranach d. Ä. und seine Werkstatt noch verfügbar? Ließen sich alle vorhandenen Holzschnitte der vorherigen Teilausgaben einfach sammeln und neu abdrucken? Oder fand sich ein Künstler, der wie Cranach unter hohem Zeitdruck eine Vielzahl von Bildern schaffen konnte, die auch noch zu Luthers Text passten?
Der Monogrammist „MS“
Den genauen Auftrag kennen wir nicht, aber aus dem entstandenen Buch lassen sich einige Informationen ablesen: 128 Holzschnitte bebildern insgesamt die Lutherbibel, davon sind 117 neu entworfen und einige davon wiederholt abgedruckt. Das Titelblatt zum zweiten Teil des Alten Testaments mit dem sitzenden Josua ist ein unveränderter, neuer Abdruck von Cranachs Holzschnitt von 1524. Die übrigen Illustrationen sind aber keine Neuabdrucke vorhandener Cranach-Bilder. Das konnte an dem anderen Satzspiegel liegen – im Septembertestament ebenso wie im ersten Teil des Alten Testaments 1523 lieferte die Cranach-Werkstatt noch Hochformate, die Gesamtausgabe setzte aber durchgehend auf Querformate. Dass nun ein neuer Künstler die Illustrationen schuf, zeigt sich an dessen Monogramm „MS“, das er auf einigen, aber bei weitem nicht allen Illustrationen anbrachte.

Monogrammist MS und unbekannter Maler, Samson und Delilah (Detail), auf dem Zettel rechts das Monogramm „MS“ und die Jahreszahl 1532, aus: Biblia, Das Ist, Die Gantze Heilige Schrifft Deudsch. Mart. Luth., Bd. 1, gedruckt in Wittenberg 1534 durch Hans Lufft. (Signatur: Cl I : 58 [b], Foto: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek)
Manchmal sind außerdem die Datierungen 1532, 1533 und 1534 hinzugeschrieben. Der Monogrammist hatte also zwei Jahre Zeit für die Produktion. Wer sich hinter dem Monogramm MS verbirgt, konnte bislang nicht aufgelöst werden. Aber der Künstler zeigt, dass er zum einen Masse und Geschwindigkeit, die Kennzeichen der Cranach-Werkstatt, gut bedienen konnte, und Cranachs Stil und dessen bisherige Illustrationen gut kannte. Manchmal übernahm er zitathaft Elemente, entwickelte Kompositionen aber fast immer weiter.
Das betraf vor allem räumliche Darstellungen: Wo Cranach ganz plakativ alles Wesentliche in den Vordergrund eines Bildes legte, nutzte der Monogrammist auch die Bildtiefe, um mehrere Abschnitte einer biblischen Erzählung gleichzeitig darzustellen. Während zum Beispiel Cranach in der Darstellung der Opferung Isaaks den Hintergrund gar nicht in die Erzählung einbettete, zeigte stattdessen der Monogrammist MS hier zwei Knechte: Die hatte Abraham laut des Bibeltextes mit sich genommen, dann aber auf halbem Weg zurückgelassen – genau so stellte es der Monogrammist dar. Diese Darstellungsweise machte seine neuen Bilder einerseits etwas anspruchsvoller zu entziffern, andererseits trugen sie so zu einem tiefergehenden Verständnis des Textes bei. Damit entsprach auch der Monogrammist der Forderung Luthers, dass Illustrationen vor allem ‚Merkbilder‘ sein sollten, keine ablenkenden Ausschmückungen, sondern Verständnishilfen für den Text.

Lucas Cranach d. Ä., Opferung Isaaks, aus: Das allte Testament deutsch, gedruckt in Wittenberg 1523 durch Melchior Lotter d. J. (Signatur: Cl I: 55 [g], Foto: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek)

Monogrammist MS und unbekannter Maler, Opferung Isaaks, aus: Biblia, das ist, die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Mart.Luth., Bd. 1, gedruckt in Wittenberg 1534 durch Hans Lufft. (Signatur: Cl I: 58 [b], Foto: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek)
Ein Zitat nach einem Gemälde Cranachs ist zum Beispiel in einem Holzschnitt zu sehen. Es zeigt den Tod des Holofernes in einem Zelt. Davor steht ein wachender Soldat und dieser ist sehr ähnlich platziert und gestaltet wie auf einem Gemälde, das ebenfalls den Tod des Holofernes zeigt. Es befindet sich heute in der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, ist mit der Cranachschlange signiert und auf 1531 datiert. Vermutlich hatte der Monogrammist es also zeitnah nach der Fertigstellung gesehen, vielleicht noch in der Cranach-Werkstatt.

Monogrammist MS und unbekannter Maler, Tod des Holofernes, aus: Biblia, Das Ist, Die Gantze Heilige Schrifft Deudsch. Mart. Luth., Bd. 2, gedruckt in Wittenberg 1534 durch Hans Lufft. (Signatur: Cl I : 58 [c], Foto: Digitale Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek)

Lucas Cranach d. Ä., Tod des Holofernes, 1531, © Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
Die Wiederholung des sitzenden Josua als Titelblatt für den zweiten Teil des Alten Testaments verbindet die Arbeit von Lucas Cranach d. Ä. mit der des Monogrammisten. Später lassen sich dem Monogrammisten einige Titelblätter für Bücher zuweisen, die einige Jahrzehnte lang in der kunsthistorischen Forschung versehentlich als Werke der Cranach-Werkstatt eingestuft wurden. Eines befindet sich zum Beispiel in den graphischen Sammlungen der Museen der Klassik Stiftung Weimar: Es zeigt das Schema von Gesetz und Gnade, das häufig in der Cranach-Werkstatt dargestellt wurde. In der rechten unteren Ecke ist ein Christus mit Fahne platziert, der so fast identisch in einer Illustration des Monogrammisten MS in der Lutherbibel vorkommt. Der Monogrammist arbeitete also vor allem ab dann als Buchillustrator, als sich Lucas Cranach d. Ä. vom Buchdruck verabschiedet hatte. Die Indizien legen nahe, dass wir in der Lutherbibel einem Werkstattmitarbeiter bei seinen ersten Schritten als selbstständigem Künstler zusehen können.

Monogrammist MS, Titelrahmen mit Gesetz und Gnade, Erstverwendung 1536 (Inv. DK 31/91, Foto: Klassik Stiftung Weimar, Museen)
Azurit, Malachit, Zinnober, Ocker
Wer die Holzschnitte in der Weimarer Lutherbibel kolorierte, ist gänzlich unbekannt. Aber auch dieser Künstler war mit den Farbschemata aus Cranachs Kunst vertraut und setzte ausdrucksstarke Farben wie Blau, Grün, Rot und Gelb ein. Das für Blau verwendete Azurit war zwar nicht so teuer wie Lapislazuli, auch Ultramarin genannt, aber je nach Qualität immer noch teurer zu beschaffen als Malachit für die Farbe Grün. Deutlich günstiger waren Zinnober für die Farbe Rot oder Ocker für Gelb. Kostbarkeit wurde also auch über die Wahl der Farben dargestellt. An den Kleidern mancher Frauen lässt sich erkennen, dass der Maler wahrscheinlich Frauenporträts aus der Cranach-Werkstatt kannte. Außerdem kamen teure Silber- und Goldfarbe zum Einsatz, häufig für Ornamente in der Kleidung von Figuren. Ob der Buchmaler auch mit der Cranach-Werkstatt in Verbindung stand, lässt sich nicht belegen. Dass Cranach-Schüler solche Bibeln ausgemalt haben, belegt zum Beispiel der in Weimar und Umgebung tätige Veit Thiem, der das Ausmalen einer Lutherbibel für Herzog Johann Wilhelm, Erbauer des Grünen Schlosses in Weimar, in Rechnung stellte und mehrere Monate Zeit gekostet hatte. Ausgerechnet das Titelblatt zum zweiten Teil des Alten Testaments, das einen direkten Bezug zu Cranach herstellt, ist in der Weimarer Lutherbibel sehr aufwendig ausgemalt, mit viel Blau, frei gezeichnetem Ornament, Gold- und Silberfarbe. Der unbekannte Maler nutzte also das Blatt, um sein besonderes Können und ein hohes Maß an Kostbarkeit darzustellen – vielleicht auch ein Hinweis auf Verbindungen zu Cranach?
Literaturempfehlung
Dohe, Sebastian: Die Illustrationen der Lutherbibel von 1534 oder: Wie viel Cranach steckt in der ersten Vollbibel?, in: Greiling, Werner/Schirmer, Uwe/Werner, Elke Anna (Hg.): Luther auf der Wartburg 1521/22. Bibelübersetzung – Bibeldruck – Wirkungsgeschichte, Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2022, S. 233–256.
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