Der Künstler Max Kruse

„Weimar, Sonne und Glück erscheinen mir identisch.“

Art: Artikel Autor: Manuel Schwarz
01.12.2023 9

Im Gegensatz zu seiner Frau, der „Puppenmutter“ Käthe Kruse, und seinem gleichnamigen Sohn, der als Autor („Urmel aus dem Eis“) Popularität erlangte, ist der Künstler Max Kruse heute in weiten Kreisen unbekannt. Dabei schuf er als Bildhauer, Maler, Bühnenbildner und Erfinder ein künstlerisch wie stilistisch vielfältiges Œuvre – und hinterließ auch in Weimar seine Spuren.

Früher Ruhm

Max kam am 14. April 1854 in Berlin als letztes von drei Kindern von Eduard und Sophie (geb. Bethe) Kruse zur Welt. Nach seiner Schul­ausbildung und dem Militärdienst ging Max Kruse zunächst nach Stuttgart: Er studierte am Polytechnikum von 1874 bis 1877 Architektur und besuchte Kurse an der Kunstschule. Anschließend kehrte er zurück nach Berlin und studierte Bildhauerei bei Fritz Schaper und Albert Wolff an der Königlichen Akademie der Künste.

Bereits sein Erstlingswerk – der Siegesbote von Marathon „NENIKHKAMEN“ (griechisch, übersetzt: „Wir haben gesiegt“) – brachte ihm großen Ruhm. Auf der Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste im Jahr 1881 wurde er mit einer Goldmedaille für Kunst ausgezeichnet. Die Figur fand als Kleinplastik weite Verbreitung und monumentale Ausführungen existieren, unter anderem in Krefeld und Eisleben. Auch Elisabeth Förster-Nietzsche besaß ein Exemplar und platzierte dieses prominent in den Räumen des Nietzsche-Archivs in Weimar.

Atelier Louis Held, Beratungszimmer im Nietzsche-Archiv (links zwischen den Büsten der Siegesbote von Marathon „NENIKHKAMEN“), 1926

Mit dem Ankauf der Figur durch die Berliner Nationalgalerie finanzierte sich Max Kruse eine Studienreise nach Italien. Allerdings war der Aufenthalt nicht so inspirierend, wie er erwartet hatte, und später riet er von solchen Reisen ab: „Keinesfalls sollte man junge Künstler zu Studien­zwecken nach Italien schicken, sie werden nur ganz verdreht in dem großen Antiquitäten­laden Rom.“ Trotzdem unternahm er nach dieser ersten Reise viele weitere nach Italien sowie nach Griechenland und Ägypten. Die späteren Aufenthalte erwiesen sich dann als fruchtbarer für seine künstlerische Entwicklung.

In den 1880er- und 1890er-Jahren etablierte sich Max Kruse als Künstler in Berlin. Er fertigte ganz­figurige Plastiken und Porträtbüsten, unter anderem von Max Liebermann, Walter Leistikow und Gerhart Hauptmann sowie von Familien­mitgliedern. Dabei arbeitete er als einer der ersten modernen Bildhauer auch mit Holz. Er wurde mit weiteren Medaillen ausgezeichnet und auf der Großen Berliner Kunst-Ausstellung im Jahr 1898 war er mit einer Kollektiv­ausstellung vertreten. Zwar beteiligte er sich auch an verschiedenen Denkmals­wettbewerben und wurde mehrmals prämiert, aber er erhielt kaum Aufträge.

Max Kruse, Walter Leistikow, Lindenholz, polychrom gefasst, 1893

Privates

Von 1884 bis 1899 war der Künstler, der sich nach seiner Berliner Wohnadresse zeitweise „Kruse-Lietzenburg“ nannte, mit Anna Pavel verheiratet. Aus der Ehe entstammten vier Kinder, darunter die Malerin Annemarie von Jakimow-Kruse. Am 18. Januar 1902 besuchte Max Kruse in Berlin einen Ball und fiel dabei der jungen Schauspielerin Katharina „Käthe“ Simon auf. Trotz des Alters­unterschieds von 29 Jahren fand sie sofort Gefallen an ihm. Die beiden gingen bald darauf eine Beziehung ein, aus der in den kommenden Jahrzehnten sieben Kinder hervorgingen. Die ersten Jahre waren allerdings sehr schwierig: Max Kruse verlangte die Beziehung und seine Vaterschaft geheim zu halten. Zeitweise führte das Paar sogar eine Fernbeziehung, denn Käthe wohnte in der lebens­reformerischen Gemeinschaft Monte Verità (italienisch, übersetzt: „Berg der Wahrheit“) bei Ascona. Erst im Jahr 1909 heiratete das Paar in München. Trotz der Hochzeit und dem Ende des Versteckspiels, blieb die Beziehung aber nicht frei von Krisen. Dass Käthe ihre Schauspiel­karriere beendet hatte, sollte sich für die junge Frau aber als Glücksfall erweisen: Auf Vorschlag ihres Partners, der die im Handel erhältlichen Modelle nicht mochte, fertigte sie für ihre Tochter zum Weihnachtsfest 1905 eine Puppe, die so gut ankam, dass sie weitere Exemplare herstellte und schließlich als Unternehmerin erfolgreich Karriere machte.

Wirken in Weimar

1898 porträtierte Max Kruse als einer der ersten Künstler den Philosophen Friedrich Nietzsche. Der Bildhauer pflegte ein gutes Verhältnis zu Elisabeth Förster-Nietzsche, die seit 1897 mit ihrem „geistig umnachteten“ Bruder in der „Villa Silberblick“ in Weimar wohnte. Für die Anfertigung der Büste durfte Max Kruse den Kranken sogar persönlich treffen. Sein Porträt zählt damit zu den wenigen von Friedrich Nietzsche, das angefertigt wurde, während der Philosoph noch lebte. Von der Begegnung berichtet der Künstler in seinen 1918 verfassten, unveröffentlichten Lebenserinnerungen: „Es war ein merkwürdiger Eindruck, diesen Prophetenkopf, die verkörperte Tragödie lächeln zu sehen. (…) Einmal (…) hoppste er vor Vergnügen und schlug in die Hände wie ein Kind, es war erschütternd.“ Die Büste wurde von der kritischen Schwester aber nicht so gewürdigt, wie der Künstler es erwartet hatte: Zwar bezeichnete sie diese ihm gegenüber als „herrliches Kunstwerk“, aber die idealisierte Darstellung sei kein Porträt ihres Bruders und sie ersuchte ihn, die Plastik stattdessen als „Zarathustra“ zu betiteln. Gegenüber dem Porträtisten Karl Bauer nannte sie die Darstellung sogar „mißrathen“. Der Bitte nach der Umbenennung kam Max Kruse nicht nach und es war für ihn „rätselhaft wer sie dazu vermocht hat, später an dem Werk herumzunörgeln.“ Die Marmorbüste wurde entgegen ursprüng­licher Überlegungen nicht für das Nietzsche-Archiv erworben und sie blieb zunächst im Besitz des Künstlers, der sie unter anderem auf der Weltausstellung 1910 in Brüssel zeigte. Heute befindet sie sich im Nietzsche-Haus in Sils Maria. Die Klassik Stiftung Weimar besitzt jedoch zwei Gipsbüsten und eine Lebendmaske. Letztere ist aktuell in der Ausstellung Nietzsche privat – eine unmögliche Ausstellung im Museum Neues Weimar zu sehen

Seine Begeisterung für Friedrich Nietzsche war derweil so ausgeprägt, dass er sogar an die Errichtung eines Denkmals dachte, wie er Elisabeth Förster-Nietzsche schrieb: „Jeder bewaldete Hügel ruft mir den marmornen Flachkuppelbau in Erinnerung zu dem aus der Ebene eine gerade breite dunkle Allee hinauf führt regelmäßig unterbrochen durch weiße Altäre. (…) Vor allen Dingen steht mir aber eine lebensgroße sitzende Figur ihres Bruders vor Augen (…).“ Zur Ausführung gelangte das Denkmal allerdings nicht und die Entwürfe gelten als verloren.

Dass Harry Graf Kessler für die Anfertigung einer Büste für das von Henry van de Velde umgestaltete Nietzsche-Archiv später Max Klinger beauftrage, konnte Max Kruse wiederum nicht verstehen, weil dieser den Philosophen „nie gesehen hat oder doch nur ganz flüchtig, wie er behauptet, in Leipzig.“ Auch bewertete er Elisabeth Förster-Nietzsches Umgang mit dem Vermächtnis ihres Bruders später äußerst kritisch und verurteilte den im Nietzsche-Archiv vorherrschenden Nationalismus. Er war der Meinung, dass „wenn man sich im Grabe umdrehen könnte, so würde es ihr Bruder (…) tun, und die Rückseite nach oben drehen (…).“

Elisabeth Förster-Nietzsche war nicht die einzige Person in Weimar mit der Max Kruse in engem Kontakt stand. In einer Wohnung an der Ackerwand 15 wohnte seine Schwester, die Musikern Anna Kruse, und er war befreundet mit einigen Künstlern, wie Theodor Hagen und Ludwig Freiherr von Gleichen-Rußwurm. Letzterer stellte ihm zeitweise ein Atelier zur Verfügung. Zudem genoss er die Sympathien von Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, der den Künstler erstmals in den 1880er-Jahren in seinem Atelier in Berlin besuchte. Der Monarch schlug ihm sogar vor nach Weimar zu ziehen, was Max Kruse zu diesem Zeitpunkt ablehnte. Der guten Beziehung der beiden tat dies aber keinen Abbruch. Auch während seiner Aufenthalte in Weimar besuchte ihn der Großherzog und einmal habe er sogar Max Kruses „ganzen Kopf abgekrabbelt (…), um zu ergründen, welche Geisteseigenschaften ich hätte.“ Im Jahr 1898 kam der Monarch auf Einladung des Künstlers zu einer Lesung ins Nietzsche-Archiv und war von einem der vorgetragenen Gedichte zu Tränen gerührt.

Max Kruse, Lebendmaske von Friedrich Nietzsche, Bronze, nach 1898

Ein „Alleskünstler“

Zu diesem Zeitpunkt erwog Max Kruse nun nach Weimar zu ziehen, wo er sich stets sehr wohl fühlte, wie er später schrieb: „Weimar, Sonne und Glück erscheinen mir identisch.“ Er plante dabei nicht nur als Bildhauer tätig zu werden, sondern „den Thüringer Wald mit seiner intelligenten Bevölkerung kunst­gewerblich zu entwickeln (…).“ Über eine Berufung an die Kunstschule sowie eine Beauftragung für das geplante Franz Liszt-Denkmal wurde bereits in der Presse spekuliert. Letztlich scheiterte die Förderung des Kunst­gewerbes angeblich aber an fehlenden finanziellen Mitteln. Sein Plan wurde erst ab 1902 von Henry van de Velde auf Veranlassung von Großherzog Wilhelm Ernst im Rahmen des „Neuen Weimar“ realisiert.

Bereits in den Jahren zuvor hatte Max Kruse begonnen, sein Schaffen auszuweiten und sich sogar als Erfinder zu betätigen. Er entwickelte unter anderem eine Bildhauer-Kopiermaschine, um Plastiken in verschiedenen Größen und Materialien zu reproduzieren. Obwohl diese und weitere Erfindungen gewisses Aufsehen erregten, konnten sie sich nicht durchsetzen.

Unbekannter Fotograf, Bildhauer-Kopiermaschine, nach 1890, in: Fritz Stahl: Max Kruse, 1924, Verlag von Ernst Wasmuth A.-G., Berlin | Sammlung Manuel Schwarz

Nach der Jahrhundertwende begann Max Kruse für Max Reinhardt in Berlin moderne Bühnenbilder zu entwerfen – erstmals mit plastischer Dekoration und einem abschließenden Rundhorizont – unter anderem für Oscar Wildes Salome. Zeitweise arbeitete er zudem an der privaten Kunstschule von Arthur Lewin-Funcke in Berlin. Seltener verfasste er auch kunst-theoretische Schriften.

Sein Schaffen wurde 1907 mit der Verleihung der Königlichen Professur und 1913 mit der Ernennung zum Mitglied der Königlichen Akademie der Künste gewürdigt. Trotz dieser Anerkennungen durch das Establishment sympathisierte Max Kruse mit den freiheitlichen und progressiven Kunstbewegungen seiner Zeit: Er war Mitglied des 1903 in Weimar gegründeten Deutschen Künstlerbunds und der Berliner Secession.

Leben zwischen Berlin, Kösen und Hiddensee

Im Jahr 1912 weilte die Familie Kruse wegen einer Erkrankung einer ihrer Töchter im Kurort Kösen. Dabei entschied Käthe Kruse, dauerhaft in der Stadt zu bleiben und dort eine Manufaktur für ihre Puppen zu errichten. 1915 zog die Familie zwar nach Potsdam, kehrte aber 1918 bereits wieder zurück in die Stadt an der Saale. Max Kruse pendelte jedoch weiterhin zwischen Kösen und Berlin sowie Hiddensee. Auf der Ostseeinsel besaß sein Bruder, der Maler Oskar, die Villa „Lietzenburg“, die nach dessen Tod im Jahr 1919 an ihn überging. Weiterhin unternahm er Reisen, zumeist in Begleitung seiner Tochter Maria Speranza, und widmete sich dabei der Landschafts­malerei.

Max Kruse, Hiddensee, Aquarell, vor 1924, in: Fritz Stahl: Max Kruse, 1924, Verlag von Ernst Wasmuth A.-G., Berlin | Sammlung Manuel Schwarz

Im Jahr 1924 feierte Max Kruse seinen 70. Geburtstag. Zu Ehren des Jubilars zeigte die Akademie der Künste auf ihrer Frühjahrs­ausstellung in Berlin eine Sonder­ausstellung mit über vierzig Werken des Künstlers. Zudem wurde er von der Stadt Bad Kösen zum Ehrenbürger ernannt und der Kunstkritiker Fritz Stahl veröffentlichte eine prachtvoll gestaltete Künstler-Biographie.

Trotz der Würdigungen, war Max Kruses künstlerische Hochzeit aber vorüber. Sein Lebenswerk bewertete er kritisch, wie sich sein Sohn Max in seiner Autobiographie Die verwandelte Zeit erinnert: „Die Fachleute kannten und achteten ihn als Bildhauer. Er hatte gleichwohl nicht das erreicht, was er erstrebt hatte. Sein ,Siegesbote von Marathon‘ (…) brachte ihm frühen Ruhm (…), später wurde es stiller um ihn, er litt auch darunter, daß vieles Beachtliche, viele Erfindungen (…) nicht so erfolgreich waren, wie er es erhofft hatte.“

Max Kruse starb am 26. Oktober 1942 im Alter von 88 Jahren in seiner Wohnung in Berlin-Wilmersdorf und wurde bei seiner Familie auf dem Alten Friedhof der Jerusalemgemeinde vor dem Halleschen Tor beigesetzt. Trotz dessen, dass er selbst mehr „erstrebt hatte“, schuf er ein umfangreiches wie stilistisch vielfältiges Œuvre. Er bewies stets Ideen­reichtum und Erfindungsgabe, wie bei der Wiederentdeckung der Holzplastik oder dem Entwurf moderner Bühnen­bilder, und ist heute zu Unrecht in weiten Kreisen unbekannt.

Der Blogeintrag basiert auf dem Aufsatz des Autors „Bad Kösen konnte sich selbst nicht besser ehren…“ – Der (unbekannte) Ehrenbürger Max Kruse (1854–1942), in: Saale-Unstrut-Jahrbuch 2024, Halle 2023.

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