Der Abschied des Bauhauses aus Weimar

Der letzte Tanz

Art: Artikel Autor: Ute Ackermann
02.05.2024 7

„Es hat sich ausgeweimart, meine Herrn, wir gehen jetzt dessauern!“, so Lyonel Feininger über den Weggang des Bauhauses aus Weimar nach Dessau 1925. Ute Ackermann darüber, wie es zu dem Umzug Widerwillen kam und was Bauhaus-Direktor Walter Gropius zwischenzeitlich auf Sizilien machte.

Das Bauhaus in Weimar war eine „lokale Existenz des Teufels“. Mit diesen ironischen Worten erinnerte sich Nina Kandinsky, die Gattin des Bauhaus-Meisters Wassily Kandins­ky, an den Gründungsort der berühmten Gestalterschule. Für viele stock­kon­ser­va­ti­ve Gemütsmenschen in der ehemaligen Residenzstadt taugte das Bauhaus vor allem als Kinderschreck: Sollte sich der aufsässige Nachwuchs nicht benehmen, würde man ihn in dieser Vorhölle abliefern, drohte man gelegentlich. 1923/24 mach­te das Bauhaus jedoch nicht nur ihm Angst.

Ein Wahlaufruf des rechtskonservativen Ordnungsbundes prophezeite im Februar 1924 auch dem Mittelstand ein grausames Ende durch das Bauhaus, das als ver­län­ger­ter Arm der Linken galt. Und in der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung vom 6. Februar 1924 hieß es: „Handwerk! Gewerbe! Einzelhandel! Niederzuknüppeln war das Ziel der sozialistisch-kommunistischen Regierung! Denk an Soziale Bau­hüt­ten, Staatliches Bauhaus.“ Respekt!, so viel Angst vor einer Schule! Den armen Kandins­ky stufte man im August 1924 in der Braunschweigischen Landeszeitung als gefährlichen kommunistischen Russen ein. Kandinsky?! Der las nicht einmal Zeitung, wie er bekannte, und regte sich deshalb dermaßen auf, dass er dem Kunstkritiker Will Grohmann schrieb:

„Ich habe kein Interesse für Politik, bin vollkommen unpolitisch“

Ach, Gropius, hattest du nicht versprochen, wie ein Zerberus darüber zu wachen, dass das Bauhaus frei von jeder Art Parteipolitik bleibt, die dir zutiefst zuwider war? Jeden, der gegen das Politikverbot verstieß, hast du streng gemaßregelt oder sogar raus­ge­wor­fen. Und nun das? Kulturbolschewiken und Kommunisten, die den Mittelstand vernichten wollen? Am Bauhaus? Geradezu liebevoll hattest du 1919 der Hand­wer­ker­schaft erklärt, dass das Bauhaus keinesfalls beabsichtige, expressionistische Ka­the­dral­bau­ten zu errichten und doch nur helfen wolle, das Handwerk für die An­for­de­run­gen der neuen Zeit fit zu machen. Aber Lautstärke auf der einen und Angst auf der anderen Seite siegten wohl über dein Charisma.

Immer kurz vor den Budgetverhandlungen im Landtag geriet das Bauhaus in das Visier schmutziger Attacken. Als 1923 ein windiger Syndikus mit gekauftem Dok­tor­ti­tel die betriebswirtschaftliche Führung des Bauhauses erst übernahm und dann mit dem Vorwurf der Misswirtschaft diskreditierte und Oskar Schlemmer leichtsinnig in einem, dann doch nicht veröffentlichten, aber kolportierten Text von der „Kathedrale des Sozialismus“ sprach, hagelte es im Landtag kritische Anfragen und Petitionen von rechts. NSDAP und Deutschvölkische Freiheitspartei verlangten entsprechende Schrit­te zum „Abbau einer so unrentablen Einrichtung“. Die Zeit der Träume war damit vorbei. Weimar würde sich die erste politisch motivierte Vertreibung des Bauhauses in die Stadtchronik schreiben müssen, Dessau schloss sich 1932 an.

Bereits im April 1924 munkelte man, dass Gropius’ Vertrag nicht verlängert, das Bauhaus aufgelöst werden solle. Gropius erfuhr davon aus der Zeitung und war fassungslos. Gerüchte wurden in der Öffentlichkeit als Tatsachen verhandelt. Die Bauhaus-Meister Josef Hartwig und Emil Lange überbrachten der Regierung den Entschluss, im Falle einer Liquidation ihrerseits zu kündigen. Welch großartiges Bekenntnis der Bauhäusler zu ihrem Leiter – und welch große Selbstüberschätzung. Der Minister empfing die Kommission des Bauhauses nicht und fertigte Gropius am Telefon wie einen Bittsteller ab. Aber der Bauhaus- Direktor ließ nicht locker. Mitten in diesem Strudel, dessen Bedrohlichkeit nicht mehr zu ignorieren war, wurde Gropius’ 41. Geburtstag am 18. Mai zu einer Jubelfeier ungeahnten Ausmaßes. Sie dauerte vier Tage. Von tosenden Hochrufen begleitet trugen die Bauhäusler*innen ihren Direktor auf den Schultern aus dem Saal. Der lag den ganzen folgenden Sonntag lang unter den Kiefern oben im Garten Am Horn und genoss das Leben.

Doch die existenzielle Angst konnte auch mit Ekstase nicht weggetanzt werden. Aus der anfänglichen Ahnung wurde allmählich Gewissheit, und die Hoffnung, dass alles doch noch gut werden würde, wenn man noch ein wenig mehr kämpfen, noch einen entscheidenden Artikel in der Presse lancieren, noch mehr Gönner, Freunde, Förderer gewinnen könne, schmolz dahin. Was für ein Kraftakt, um am Ende zu scheitern. Der Landtag hatte im Sommer 1923 das Budget des Bauhauses halbiert, scheinheilig einer GmbH-Gründung zugestimmt, die ja doch nur die Werkstätten erhalten könnte. Das Geld für die Gehälter und die gesamte Lehre hätte dann durch die Produktion verdient werden müssen. Man hatte zu realisieren: Das Bauhaus war ungewollt. Das Angstszenario, das Aus für die Verträge, wurde schließlich Wirklichkeit. Ein schwacher Staatsminister für Volksbildung und Justiz hielt den Angriffen nicht Stand, ging in die Knie und jeder Konfrontation aus dem Weg. Ein schwarzer Morgen, gestand sich Gro­pi­us ein, als ihn und seine Bauhaus- Meister im September 1924 die Kündigungsschreiben zum April des kommenden Jahres erreichten.

Und dennoch, trotz aller Resignation: Die Nachricht musste sofort an die Presse. Kampagne, Propaganda, Aufschrei, Aufstand – das Bauhaus stand Kopf. Gropius tatendurstig wie eh, versprach sich Beistand von einem Kuratorium der Geisteselite und gründete den Kreis der Freunde des Bauhauses. Doch Weimar war nicht zu hal­ten. Weimar hielt das Bauhaus nicht, Freundeskreis hin oder her. Prominente Für­spre­cher, wie Albert Einstein, konnten angesichts der geschrumpften finanziellen Aus­stat­tung nicht helfen. Was also tun? Aufgeben? Keinesfalls! Am zweiten Weih­nachts­fei­er­tag 1924 erklärten die Bauhaus-Meister in einem offenen Brief die Selbstauflösung des Bauhauses mit Ablauf ihrer Verträge zum 1. April 1925. Sie schrieben: „Wir klagen an, daß zugelassen und begünstigt worden ist, daß die sachliche und stets un­po­li­ti­sche Kulturarbeit des Bauhauses durch parteipolitische Machenschaften gestört wird […]. Ob das Bauhaus an anderer Stelle seine Arbeit fortsetzen wird, läßt sich zur Zeit noch nicht überblicken.“ Das löste bei den verwaltenden Behörden kaum mehr als ein Achselzucken aus. Bildeten die sich denn wirklich ein, dass eine staatliche Einrichtung durch ihre Angestellten aufgelöst werden konnte? Das Statement machte jedoch unweigerlich klar, dass das Bauhaus nicht in Weimar bleiben wollte.

Weggehen! Neuanfangen. Familie, Freunde, Bekannte, Kampfgefährten, Kollegen, alle wurden aktiviert, hier zu helfen. Ise Gropius, Gropius’ Ehefrau, nutzte ihre Kontakte in Köln. Frankfurt, Darmstadt, Hagen und Mannheim waren als neue Bauhaus- Orte im Gespräch. Alle neuen Orte verlangten Kompromisse. Keine der Städte war ideal, um das Bauhaus als eigenständige Schule weiterzuführen. Als der Pressewirbel, den Gro­pi­us initiiert hatte, im Frühjahr 1925 schließlich doch Früchte zu tragen schien, hatten einige Werkmeister das Angebot der Regierung, in Weimar zu bleiben, bereits an­ge­nom­men. Ein Artikel im Berliner Tageblatt ließ zunächst den Musikdirektor der Stadt Dessau, Franz von Hoeßlin, aufhorchen. Käme die Bauhaus-Bühne an sein Theater, würde das dem lahmenden Kulturbetrieb der Industriestadt sicher auf die Beine helfen. Der Dessauer Bürgermeister, Fritz Hesse, und der gut vernetzte Lan­des­kon­ser­va­tor, Ludwig Grote, schlossen sich an und machten dem Bauhaus ein Angebot.

Eine Junkers F 13 überfliegt das Bauhausgebäude Dessau in West-Ost-Richtung. Historische Ansichtskarte, um 1927

In den ersten Februartagen 1925 war Gropius von den dauerhaften Kämpfen er­schöpft und ausgebrannt mit dem Segen der Bauhaus-Meister zu einer vier­wö­chi­gen Erholungsreise nach Sizilien aufgebrochen. In seiner Abwesenheit hielten sie nun die Schicksalsfäden in den Händen und empfingen die Dessauer Delegation. Fritz Hesse und Ludwig Grote wurden im Bauhaus und in Weimar herumgeführt und sollten so­gar zum Abendessen eingeladen werden, das dann allerdings Grote angesichts der klammen Weimarer, selbst übernahm. Wenige Tage später brachen die Ehepaare Kandinsky und Muche zum Gegenbesuch nach Dessau auf. Der erste Eindruck war ernüchternd, die Stadt eben hässlich. Jenseits der Arbeiterviertel nahm die Stim­mung aber zu, war „ansteigend, bis zur völligen Begeisterung“. Zudem erschien das Versprechen eigener Meisterhäuser in Parknähe reizvoll.

Die Entscheidung für Dessau fiel, und das Ende des Bauhauses in Weimar war be­sie­gelt. Gerhard Marcks zog es vor, nach Halle an die Burg Giebichenstein zu wechseln. Paul Klee entschied sich für das Bauhaus. Lyonel Feininger wurde von allen Seiten heftig umworben; Fritz Fleischer, ein wirklich konservativer Geist der Weimarer Kunst­hoch­schu­le und erklärter Bauhaus- Feind, machte ihm ernsthafte Avancen, an die Hoch­schu­le zu wechseln und so in Weimar, Feiningers Märchenort, bleiben zu können. Doch der Sportsmann war angesichts des von Wasser umgebenen Dessau längst ins Träumen geraten: „Wasser überall: […] Wasser- und Segelsport – Angeln – Mo­tor­boot­sport.“ Keine Chance für Weimar. Dazu hatte Feininger Gropius ein freies Meis­ter­ate­lier und die Zusicherung abgerungen, keinen regelrechten Unterricht erteilen zu müssen.

Als Fritz Hesse dem Weimarer Oberbürgermeister sein Erstaunen darüber aus­drück­te, dass er das Bauhaus ziehen lassen würde, machte Letzterer ein dummes Gesicht. Er hatte die Schule nie besucht. Viele Studierende hielten dem Bauhaus die Treue und entschieden sich, mit nach Dessau zu ziehen, wenngleich mit ein wenig Wehmut und ein bisschen Nostalgie – das neue Studentenwohnheim wurde aus sentimentalen Gründen wie in Weimar „Prellerhaus“ genannt.

„Zu unserem gemeinsamen Ableben eine letzte Feierlichkeit“: Einladung zum „letzten Tanz“ im Weimarer Ilmschlösschen. Neben vielen Programmpunkten werden auf dem Fest Feininger, Klee und Kandinsky verlost, 1925

Die „Letzen Dinge“ in Sachen Weimarer Bauhaus wurden im berühmten Ilm­schlöss­chen, der bewährten Partylocation der Bauhäusler*innen verhandelt. Ende März 1925 zelebrierten sie ihr „gemeinsames Ableben“ mit einem wilden Fest. Die Bauhaus-Kapelle rief zum unwiderruflich letzten Tanz in Weimar auf. Feininger, Klee, Kandinsky und andere wurden in einer Lotterie verlost. Dann zog Ruhe ein, und

„es hatte sich ,ausgeweimart‘, denn, ,meine Herrn, wir gehen jetzt dessauern! ‘“

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