Haus Hohe Pappeln

Die größte Vase von Henry van de Velde

29.11.2023 5

Lange stand sie unbeachtet in einem Höhrer Garten im Westerwald, jetzt schmückt sie das Esszimmer im Haus Hohe Pappeln: die größte Keramikvase, die Henry van de Velde je entworfen hat. Ein Gastbeitrag von Nele van Wieringen über die Her­stel­lungs- und Erfolgsgeschichte eines außergewöhnlichen Gefäßes.

Henry van de Velde und der Fabrikant August Hanke

Als Henry van de Velde 1901 damit beauftragt wurde, die schwächelnde Stein­zeug­in­dus­trie im Kannenbäckerland zu einer neuen Blüte zu verhelfen, fand er in dem Fa­bri­kanten August Hanke einen geeigneten Partner. Die Firma Reinhold Hanke war 1868 von dessen Vater, einem Siderolith-Formengießer aus Böhmen, in Höhr gegründet worden. Reinhold Hanke hatte sich einen Namen mit historisierenden Keramiken ge­macht, die mit aufwendig gestalteten Dekoren den Geschmack der Zeit trafen. Als gelernter Modelleur beherrschte er die Kunst der Gipsformenherstellung und wand­te diese auf die Produktion von Steinzeug an. Das Unternehmen konnte so auf­wen­di­ge Objekte als Sondereditionen produzieren.

Werbung Firma Reinhold Hanke um 1903, © Archiv Keramikmuseum Westerwald

Es war eben diese Fähigkeit, die van de Velde für seine Entwürfe brauchte. August Hanke, der die Firma des Vaters 1901 übernommen hatte, war außerdem ex­pe­ri­men­tier­freu­dig und brachte für van de Velde wichtige chemische Kenntnisse mit. Seit er auf der Pariser Weltausstellung 1900 die farbenfrohen Steinzeugglasuren der fran­zö­si­schen céramistes und japanischen Meister gesehen hatte, war er wild entschlossen, das Geheimnis ihrer Rezepturen zu lüften. Als zusätzliche Herausforderung nahm Hanke sich vor, die Oberflächen im traditionellen Salzbrand herzustellen. Auf der Leip­zi­ger Frühjahrsmesse im darauffolgenden Jahr konnte er bereits erste chinarote Glasuren präsentieren.

Es nimmt kaum Wunder, dass van de Veldes Konzepte bei dem jungen Fabrikanten auf fruchtbaren Boden stießen. Umgekehrt dürfte van de Velde von dem großen technischen Wissen der Firma Hanke angetan gewesen sein. Hinzu kam, dass Hanke sich in dessen Wünsche hineinzuversetzen und sie zu verwirklichen wusste. Kurzum, die Chemie zwischen beiden stimmte, und so kam 1902 ein Exklusivvertrag zustande.

Aus einem Brief vom 22. Oktober 1903 an die Firma Hanke geht hervor, dass Henry van de Velde Gipsformen und Zeichnungen aus Weimar nach Höhr schickte, die dann dort umgesetzt werden sollten. August Hanke steuerte seinerseits die technischen Spezifikationen und Rahmenbedingungen für ein gelungenes Ergebnis bei. Seine Notizbücher sind prall gefüllt mit Experimenten und Ideen für neue Oberflächen.

Von Westerwald nach St. Louis: Weltausstellung 1904

Die Zusammenarbeit war für beide Seiten ein Erfolg, die kunstvollen Resultate wur­den auf allen wichtigen Messen und Ausstellungen gezeigt. Als einzige Wes­ter­wäl­der Manufaktur nahm Hanke an der Weltausstellung in St. Louis 1904 teil und prä­sen­tier­te sein Werk selbstbewusst als „modernes rheinisches Steinzeug der Tendenz künst­le­ri­scher Durchbildung der Form unter Betonung der konstruktiven Idee und des Materialcharakters.“

Abstechen von Ton in der Grube Lämmersbach, Leuterod. Aus dieser Grube stammt der Ton für die Bodenvase, undatiert

Auch die große Bodenvase – die größte, die van de Velde je erschaffen hat – wurde nach Missouri transportiert. Über das Resultat dieses außergewöhnlichen Gefäßes gab sich Hanke sehr zufrieden. Neben dem Rezept für die verwendete Tonmasse schrieb er in sein Notizbuch: „für einige große St. Louis Ausstellungsvasen wurde zu obigem Versatz 1 Ztr feingemahl. Chamotte zugesetzt. Die Vase ca 1 m hoch 60 cm Ø wurde in Chinarot tadellos aus dem Ofen genommen.“ (Er rechnete vermutlich den Deckel mit, der auch im Werkverzeichnis Henry van de Velde abgebildet ist.)

In der Corzilius-Töpferei in Grenzhausen setzen Mitarbeiter Keramik in den Ofen, undatiert

Der komplizierte Herstellungsprozess der van de Velde Vase

Man merkt den Zeilen den Stolz des Fabrikanten an, denn die Herstellung der Vase war äußerst kompliziert. Die große Gipsform war schwer zu handhaben. Es musste eigens für die außergewöhnlich großen Maße ein be­son­ders feuerfester Ton ent­wi­ckelt werden, der während des Brennens stabil bleiben würde. Hinzu kam der ver­län­gerte Trockenprozess, der das Risiko auf Rissbildung in den Tonplatten er­höhte. Die Stücke wurden beim Salzbrand zudem Temperaturen von über 1220°C ausgesetzt, wobei der chemische Prozess Schwindungen und Schmelzungen verursacht und es dabei zu Verformungen kommen kann.

Die unkontrollierbare Interaktion natürlicher Rohstoffe in einem Brennprozess hatte schon Böttger und von Tschirnhaus bei ihren Porzellanexperimenten zur Ver­zweif­lung gebracht. Die streng quadratische Öffnung der Vase war dabei besonders tü­ckisch. Während bei einem runden Korpus die Spannung gleichmäßig verteilt wird, er­höht sich bei einem vierkantigen Objekt das Risiko auf Risse.

Doch die erwünschte Glasur bildete die größte Herausforderung: Die rot-blaue Farbe gelingt nur bei einer reduzierenden Ofenatmosphäre, die im Salzbrand ganz be­son­de­re fachmännische Erfahrung braucht, da diese langsamer abkühlt. Für jedes Objekt wurde daher eine eigene Kapsel gebaut, die es vor unerwünschten chemischen Prozessen im Ofen beschützen sollte.

Kein Markt für „Sonntagsgefäße“

Auch wenn die Firma Hanke diese technischen Anforderungen bravourös erfüllte, war die Herstellung der Vase zu kostspielig. Finanziellen Erfolg brachten weiterhin nur die altdeutschen Waren und nicht die Sonntagsgefäße, wie Friedrich Deneken bereits 1902 anführte. Ein Brief aus dem Jahr 1929 an den damaligen Bürgermeister von Höhr zeigt, dass die Produktion solcher Prachtstücke für August Hanke auf ein wirt­schaft­li­ches Desaster hinausgelaufen war. Darin plädierte Otto Bühler, Inhaber von Marzi & Remy, dafür, zwei der großen Bodenvasen für den Höhrer Ratssaal anschaffen zu lassen. Wohlwissend um den Herstellungsaufwand, den er als „rühmlich“ her­vor­hob, schrieb er: „Zusammenfassend will ich wiederholen, dass die Technik bei der An­fer­ti­gung dieser Vasen zu bewundern ist und dass es vielleicht unmöglich sein wird, noch ein zweites Mal derartig wohlgelungene Stücke zu erzeugen. Da nach Angaben des Herrn Hanke nur 3 Stücke verkauft wurden, von denen er eine 10%ige Abgabe an den Keramiker van der Velde entrichten mußte, so wird er nach meiner Ansicht mit dem geforderten Preis seine Selbstkosten nicht erreichen.“

Die beiden Vasen für den Ratssaal wurden für insgesamt 420 Reichsmark erworben und 1945 bei einem Bombenangriff unwiederbringlich zerstört. Über den Verbleib der drei in dem Brief erwähnten verkauften Vasen ist bis heute nichts bekannt.

Doch ein Exemplar mit einem Riss im Boden fristete jahrzehntelang ein Schat­ten­da­sein im Garten von Carl Hanke, dem Bruder von August und kaufmännischem Leiter des Unternehmens. Jahre später von einem aufmerksamen Bürger wiederentdeckt, wurde die Vase im vergangenen Jahr für eine Summe, die August Hanke sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können, versteigert. Der neue Besitzer dürf­te vom Glück beseelt heimgekehrt sein. Denn „die Erwerbung derartige Stücke [ist] eine Liebhaberei“, bemerkte Otto Bühler vor fast 100 Jahren treffend.

Der neue Eigentümer stellt sie der Klassik Stiftung Weimar für einen Sommer als Leih­ga­be zur Verfügung. Henry van de Veldes größte Vase wird bis 2. November 2023 im Speisezimmer im Haus Hohe Pappeln präsentiert.

Quellen

Der Beitrag von Nele van Wieringen basiert auf handschriftlichen Primärquellen, die im Keramik­museum Westerwald archiviert sind.

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Der Beitrag von Nele van Wieringen basiert auf handschriftlichen Primärquellen, die im Keramik­museum Westerwald archiviert sind.