Friedrich Justin Bertuch

Die Vermarktung der Welt

Art: Artikel Autor: Anne Fuchs
26.04.2023 4

Als die Welt um 1800 von Gelehrten wie Alexander von Humboldt vermessen und erforscht wurde, entwickelte sich Weimar unter Friedrich Justin Bertuch zum Zentrum eines globalen Wissens- und Handels­netzwerks. Wie ist es dazu ge­kommen? Der Nachlass des Unternehmers bietet faszinierende Einblicke.

„Von Neuigkeiten weiß ich Ihnen von hier aus nichts zu schreiben als daß wir bis in die Mitte des September Monaths unsere Reise zu Land bis Lima über Potosí [Zentralbolivien] antretten werden.
– Leben Sie wohl!“

So endete der letzte Brief, den der Forschungsreisende Johann Daniel Weber (1757–1819) im August 1788 aus Buenos Aires an den Weimarer Unternehmer und Verleger Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) schrieb. Bei einem Treffen in Weimar im Sommer 1787 hatte Bertuch Weber Unterstützung bei dessen „Peruanischen Mineralogischen Expedition“ zugesichert und blieb Webers erster Ansprechpartner auf dem Weg nach Südamerika. Bertuch schickte ihm während seiner etwa ein Jahr dauernden Reise Bücher zum Erlernen der spanischen Sprache nach Lyon, or­ga­ni­sierte die Verschiffung der Expeditionsausrüstung („Bücher, Instrumente und Modelle“) von Cadiz quer über den Atlantischen Ozean und sorgte dafür, dass Weber auch in Südamerika vertrauenswürdige Ansprechpartner fand, die ihm Kredit gaben. Bertuch verfolgte dabei unternehmerische Ziele und hatte Weber verschiedene Aufträge erteilt. Im Winter 1787 schrieb Weber aus Straßburg, dass er „den Auftrag den Sie mir wegen einer Spanischen Gelehrten Zeitung gegeben haben, auf das pünktlichste besorgen werde, sobald ich in Madrid ankomme“. Er kündigte an, „von nun an ein Tagbuch meiner Reise [zu] führen, und Ihnen alles Merkwürdige von Zeit zu Zeit [zu] überschreiben, auch das was interesant für Ihr so beliebtes Journal sein kann.“

Das Weimarer Wirtschaftsimperium Bertuchs umfasste das Landes-Industrie-Comptoir sowie zahlreiche daran angeschlossene Unternehmungen wie das Geographische Institut und Verlagsanstalten, die verschiedenste Zeitschriften veröffentlichten, unter anderem das Journal des Luxus und der Moden. Davon hat sich bis heute ein Unternehmensarchiv voller Material erhalten, das auch umfangreiche Korrespondenzen enthält – 118 prall gefüllte Archivkästen liegen im Bestand Nr. 6 des Weimarer Goethe- und Schiller-Archivs.

Kupferstich zu der Zeitschrift London und Paris, GSA 6/5541

Um 1800, als die Welt von Gelehrten wie Alexander von Humboldt oder Johann Daniel Weber vermessen und erforscht wurde, bildete Bertuch das Zentrum eines globalen Wissens- und Handelsnetzwerks und finanzierte verschiedene Projekte. Eine spannungsreiche Zeit wie die um 1800 bot einem Unternehmer wie Bertuch großes Potential für Gewinne wie Verluste: In Amerika und Frankreich fanden bedeutende Revolutionen statt, Napoleon führte über 20 Jahre lang seine Kriege mit täglich wechselndem Frontverlauf, Verbündeten und Feinden, die technische Entwicklung änderte sich rasant, und große Epidemien wie die Cholera ließen ganze Landstriche veröden. In dieser Zeit ließ Bertuch durch seine Agenten und Briefpartner weltweit die neuesten Nachrichten, Entdeckungen und Erfindungen sowie Produkte, Modetrends und politischen Neuigkeiten aufspüren und vermarktete das dabei gewonnene Wissen in seinen zahlreichen Zeitschriften und Magazinen. Darüber hinaus organisierte er auch die Herstellung und den Handel geeigneter Produkte. Modern ausgedrückt verfügte das Bertuchsche Imperium über verschiedene Abteilungen: Marktforschung, Produktentwicklung, Werbung, Preisgestaltung, Produktion und Vertrieb. Unter Bertuch entwickelte sich das provinzielle Weimar um 1800 zu dem Zentrum für Trends der unterschiedlichsten Themengebiete, da der Unternehmer Publikum und Kunden ein breit gefächertes Spektrum an Inhalten und Produkten aus den Bereichen Geografie, Umwelt, Medizin, Literatur, Militär­wissenschaft, Kulturgeschichte, Wirtschaftswissenschaft, Mode und Botanik bot.

Über seine offiziellen Aufgaben hinaus – er war von 1775 bis 1787 als Geheimsekretär und Schatullverwalter des Herzogs Carl August tätig – leistete Bertuch ein enormes Arbeitspensum und wurde zum Ansprechpartner für Forscher, Wissenschaftler, Erfinder, Fabrikanten und Schriftsteller, was zahlreiche Gäste und mehrere tausend Briefe belegen. Neben Weber wurden auch andere Forschungsreisende bei Bertuch in Weimar vorstellig. Domingo Badía y Leblich (auch bekannt als Ali Bey al-Abbasi) war zwischen 1808 und 1815 in Weimar zu Gast. Aus Paris bot er Bertuch seine Reise­beschreibungen des Orients zu einem Vorzugspreis an und endete mit den Worten: „Nie werde ich die Ehrlichkeit vergessen, mit der Sie mich in Weimar behandelt haben“. Badías Reise, für die er sich zunächst als Moslem ausgegeben hatte und später zum Islam konvertierte, erschien 1816 auf Deutsch in Bertuchs Weimarer Verlagshaus.

Der Mediziner Meyer berichtete Bertuch als Mode-Korrespondent aus Paris, das unter Napoleon den Mittelpunkt der europäischen Welt darstellte. Im November 1810 schrieb er an Bertuch: „In der Beylage erhalten Sie zwey neue Beyträge zum Journal London und Paris.“ Und im März 1811 teilte er Bertuch mit, er sende „mit der heute von hier abgehenden Post einen Kupferstich, welcher die neue Faҫade des Pallastes des gesetzgebenden Corps vorstellt und dem der Aufsatz in wenig Tagen nachfolgen wird.“

Kupferstich zu der Zeitschrift London und Paris, GSA 6/5541

Der englische Minen- und Dampfmaschinenbesitzer Ravee erfragte im Mai 1792, ob Bertuch ihn und seine Frau morgens um 7 Uhr im Park des Bertuchschen Anwesens empfangen würde. Seit 1787 handelte Bertuch mit „Englischen StahlWaaren“ wie Möbelbeschlägen und Werkzeug. Ob Ravee Bertuch von der englischen Wasch­maschine erzählte, von der Bertuch eine gedruckte Beschreibung und eine Skizze besaß?

Beschreibung und Skizze einer englischen Waschmaschine, GSA 6/2656

Diplom über die Ernennung zum Ehrenmitglied der Mineralogischen Societaet Jena 1797, GSA 6/2267

Für den Vertrieb seiner Produkte stand Bertuch mit den großen Handelshäusern der Welt in engem Austausch: Johann Kaspar Heinrich Voght (1752-1839), Mitgründer des Hamburger Unternehmens Sieveking, Voght und Comp., schickte Bertuch 1791 „wegen der Amerikanischen Geschäfte“ eine Kostenaufstellung über den Verkauf „1 Kiste mit einer Haus und Schlangen-Sprütze nach Philadelphia für Rechnung Herrn Johann Friedrich Bertuch in Weimar.“ Diese Spritze wurde gegen Nesseltuch, also Baumwolle verkauft.

Ein anderes, im spanischen Coruña ansässiges Handelshaus, Trauschke et Comp., übernahm die Spedition der Kisten mit Mineralien, die Weber aus Südamerika an Bertuch schickte, aus Lima über Cadiz nach Hamburg und dann Weimar. Weber kehrte nicht nach Europa zurück. Er hatte „im König Reich Perú im Südlichen Amerika eine Anstellung erhalten“ und verstarb 1819 in Lima.

Welche Verwendung Bertuch, der 1797 zum Ehrenmitglied der Mineralogischen Societaet Jena ernannt worden war, für Webers Mineralien fand, bleibt noch zu klären. Die Beispiele aber zeigen, dass der Bertuchsche Nachlass gerade für die moderne Wissenschaft eine faszinierende Fülle von Material bietet, die es wert ist, weiter erforscht zu werden.

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