Herr Illies, Caspar David Friedrich wird oft als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Romantik betrachtet. Was fasziniert Sie persönlich besonders an seinen Werken und wie hat sich vielleicht auch Ihr Verständnis über die Jahre hinweg entwickelt?
Ich glaube, er ist nicht nur einer der Bedeutendsten, er ist der bedeutendste Vertreter der deutschen Romantik. Und da wir hier in Weimar sind, finde ich, er darf ganz zu Recht mit Goethe konkurrieren um die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Man nennt das ja nicht nur in Weimar, sondern in der ganzen Republik die Goethezeit. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir es künftig die Friedrichzeit nennen. Also Sie sehen, ich habe da eine große Bewunderung. Die liegt an zwei Dingen: Zum einen an dem, was er aus dem Nichts geschaffen hat in einer Zeit, als die Kunst um ihn herum ganz andere Themen und ganz andere Malweisen entwickelte, ein völlig singuläres, aus der Zeit gefallenes Werk. Und dieses Werk nun spricht 200 Jahre, 250 Jahre nach seiner Geburt zu uns, als wäre es zeitgenössisch. Und das gelingt den Allerwenigsten, dass sie Dinge formulieren aus Erfahrungen, die sie eigentlich noch gar nicht gemacht haben können. Und jetzt plötzlich uns in einer vollkommen digitalisierten Welt diese Transzendenzerfahrungen, die Friedrich in seinen Bildern formuliert, wie Träume, Sehnsüchte, Hoffnungen unserer Zeit erscheinen. Das ist für mich das große Geheimnis seiner Kunst. Und ich freue mich, dass ich auch nach jetzt drei, vier Jahren intensivster Beschäftigung mit ihm immer noch meist bewundernd und rätselnd vor vielen seiner Bilder stehe. Also je mehr man über ihn liest, umso weniger versteht man ihn.
Sie haben gerade Weimar angesprochen. Weimar gilt gemeinhin ein bisschen als Zentrum der deutschen Klassik und Romantik. In Ihrem Buch „Zauber der Stille“ erzählen Sie von einer Zitat „nicht erwiderten Liebe Friedrichs zu Weimar“. Können Sie das ausführen?
Es gibt eine große Liebesgeschichte zwischen Friedrich und Goethe. Da gibt es eine Verliebtheit am Anfang, vor allem bei Friedrich. Dann etwas wie Verliebtheit bei Goethe, der sehr fasziniert ist, als er da plötzlich diesen Künstler findet und der ihn anspricht und der ihn begeistert. Und dann kippt das Verhältnis aber etwa um 1810, lustigerweise in dem Moment, als Carl August fünf Bilder bei Friedrich kauft und sich selbst für ihn so interessiert, da fängt es bei Goethe an, dass Zweifel bei ihm aufkommen. Die Melancholie der sehr transzendental ausgerichteten Malerei bei Friedrich, auch die vielen Kreuzesdarstellungen, sind Themen, die Goethe irritieren, die er nicht für Bildthemen der Gegenwart hält. Und deswegen hat Goethe damit große Probleme oder größere Schwierigkeiten. Es gibt Hinweise in den Tagebüchern der Brüder Boisserée, dass Goethe eine Wut gegen Friedrich entwickelt hat und Ähnliches. Dann aber merkt auch Goethe wieder, dass ihm dieser Friedrich doch irgendwie am Herzen liegt und er beauftragt ihn, Wolkenbilder zu malen, was wiederum Friedrich verweigert, weil es eine andere Kunstauffassung als die seine ist. Sie umkreisen sich eigentlich wirklich 20 Jahre lang, dann läuft das Verhältnis langsam aus. Aber es ist ungeheuer aufregend, an diesen beiden Figuren eigentlich die beiden großen Kunstströmungen der Zeit genau definieren zu können. Also der deutschen Klassik und der deutschen Romantik und ihre Hauptvertreter, die umkreisen sich eben wie zwei Planeten, aber sie finden am Ende nicht zueinander.
In einem Interview sagten Sie einmal, „große Kunst muss manchmal warten“. Einige von Friedrichs Gemälden sind mittlerweile geradezu ikonisch geworden. Warum glauben sie, berühren die Bilder die Menschen heute besonders?
Die Kunst von Friedrich konnte ganz offensichtlich warten, ganz lange. Vor allem im 19. Jahrhundertshat sich nach seinem Tod niemand mehr für ihn interessiert. Das paradoxe Faktum war: Der berühmte Maler des 19. Jahrhunderts war die größte Zeit des 19. Jahrhunderts unbekannt. Also ein sehr interessantes Thema des Nachrums. Dieser Nachrum ist gewachsen, kulminierte ein erstes Mal in den 30er Jahren, während der Zeit der Nationalsozialisten, und davon musste er sich dann erneut erholen, weil er natürlich in den 50er, 60er Jahren vollkommen aus dem fiel, was man kunsthistorische Forschung nennen würde, was Ankäufe von Museen, Aufarbeitung von Beständen, da wollte sich einfach 20, 30, 40 Jahre lang niemand die Finger schmutzig machen, weil man nicht wusste, wie sehr Friedrich kontaminiert war durch die Liebe oder die Inbesitznahme der Nationalsozialisten. Und erst 1974, zu seinem 200. Geburtstag, hat es dann eigentlich nochmal neu angefangen mit Werkverzeichnissen, großen Ausstellungen in Dresden und in Hamburg. Und so ist er dann eigentlich ein zweites Mal entdeckt worden. Und nun ist er so populär wie nie zuvor. Eine Million Menschen werden ihn am Ende dieses Jahres in Deutschland gesehen haben, in Hamburg, Berlin, Dresden, Weimar und Greifswald in den großen Ausstellungen.
Man muss festhalten, dass er ganz offensichtlich Themen in Bilder fassen konnte, die für uns Heutige wie Antworten auf unsere Fragen erscheinen, also für die großen Fragen von Sehnsucht, für Transzendenz, für eine Frage des Sinnes des Lebens, Stellung des Menschen auf der Erde, für das Verhältnis Mensch und Natur. Da hat er Bildlösungen formuliert, die, obwohl sie so altmeisterlich gemalt sind, aus unserer neuzeitlichen Sicht etwas formulieren, was uns genau so auf der Seele liegt oder auf den Nägeln brennt. Und das ist für mich auch einerseits ein klares und deutliches Signal, dass er etwas leistet, was die Gegenwartskunst nicht zu leisten vermag. Und zugleich bin ich auch an manchen Punkten selbst am Rätseln, was genau und wie genau das funktionieren kann. Das ist ein sehr, sehr seltener Umstand, dass ein Künstler aus einer so anderen Zeit so mit jedem seiner Werke zur Gegenwart spricht, auch großen Schriftstellern, selbst Goethe, gelingt das mit einzelnen Werken, aber nicht mit all seinen Werken. Und das ist bei Friedrich wirklich anders. Das Gesamtwerk wird so aufgenommen, als würde es wirklich zu uns sprechen und hat völlig seinen altmodischen Ton verloren. altmodischen Ton verloren. Und ich glaube, es geht darum, dass er mit seinen Bildern keine Antworten gibt, sondern Fragen stellt. Und das hält sie so zeitlos. Alle, die die Antworten zu geben versucht haben, hängen mit ihren Antworten auch in ihrer Entstehungszeit. Aber Friedrich hat Fragen formuliert. Und das sind ganz offensichtlich die großen Fragen der Menschen und jetzt in einer Zeit, in der wir uns alle sehr überfordert fühlen von der Situation der Erde, von der Situation Deutschlands, von der Situation Europas, die Bilder uns überfluten, deren wir nicht Herr werden aus Kriegsgebieten in der Ukraine und im Nahen Osten, wir mit digitalen Meldungen und Nachrichten und Bildern befeuert werden von morgens bis abends. Genau da liefern Friedrichs Bilder das Gegenteil, nämlich Zauber, Sehnsucht und Trost.
Sie haben es gerade schon angesprochen, wir feiern in diesem Jahr 250 Jahre Caspar David Friedrich. Auch gab es dieses Jahr große und kleine Ausstellungen in verschiedenen Städten. Ich habe gelesen, Sie haben sich bisher alles angesehen. Konnten Sie etwas Neues für sich entdecken?
Das Schöne ist, dass dieses Jahr unglaublich viele Erkenntnisse gebracht hat. Also wir haben in Greifswald etwa sehr, sehr viele neue Standorte von Bildern Friedrichs, die man nicht vermutete. Also dass wie viele seiner Bilder eigentlich um 1890 in Greifswald waren, nämlich fast alle, auch „Der Watzmann“ oder Caroline am Fenster. Es gibt neue Funde der Briefe von Friedrich an Schukowski, die jetzt erstmals aus dem Russischen übersetzt wurden, für den Dresdner Katalog, wo wir sehr interessante neue Erkenntnisse haben über Friedrichs Geschichtsbild, dass er sozusagen durchaus auch immer von einer Nachzeit sprach, also einer Zeit nach uns Menschen. Das ist für mich etwas, was für die Forschung und das Nachdenken über Friedrich ganz zentral ist, dass er wirklich unsere Zeit als eine Übergangszeit eigentlich betrachtet hat. Dann gibt es sehr viel materialtechnische Untersuchungen, die manch interessantes Detail gefunden haben.
Christoph Orth hat hier in Weimar ein Wiesenblumenstück gefunden von Caspar David Friedrichs Hand. Das ist tatsächlich ein neues Werk. Ich glaube jetzt, wenn ich die Ausstellung überblicke, tatsächlich die erste echte Neuandeckung. Es gibt, wie es sich gehört, auch ein paar Abschreibungen, weil man merkt, oh, das war mehr der Hoffnung oder der Wunsch der Vater des Gedankens und keine stilistische Gründe, um ein Bild ihm zuzuschreiben. Es gibt in allen Orten neue Dinge, die zu uns gekommen sind. Natürlich sind es Details, keine zentralen Dinge, die jetzt irgendwie das Verständnis von ihm ins Wanken gebracht haben. Aber die vielen Details helfen, ein noch präziseres Bild von Friedrich zu haben. Und das habe ich am Anfang schon formuliert und begeistert mich immer am allermeisten: Unser rationales Wissen über Friedrich erhöht sich, hat sich jetzt noch mal massiv erhöht durch diese Ausstellung und die Vorarbeit von allen, von den Restauratoren, von den Kunsthistorikern, von den Literaturwissenschaftlern und trotzdem bleibt ein irrationaler Rest seiner Werke und der Resonanz, die sie auslösen, der sich nicht erklären lässt. Und das finde ich auch ein Zeichen von ganz besonders großer Kunst.
Es startet hier heute in Weimar die Ausstellung „Caspar David Friedrich Goethe und die Romantik in Weimar“. Gibt es etwas, worauf Sie sich besonders in der Weimarer Ausstellung freuen?
Ich glaube, ich habe den Katalog schon sehen dürfen, dass es exzellent aufgearbeitet worden ist mit dieser Ausstellung. Dieses Verhältnis Weimar, eben Weimar auch im Sinne des Hofes gedacht, nicht nur im Sinne des Fürsten, Dichterfürsten, sondern auch im Sinne des Großherzogs. Dann hochinteressant, die drei Frauenfiguren zwischen Friedrich und Goethe, Caroline Bardua, Johanna Schopenhauer und Luise Seidler, also auch welche Funktionen sie hatten. Also ich habe das Gefühl, mit dieser Ausstellung hat man wirklich einmal alle Fakten, alle Daten, alle Künstler, alle Namen beieinander für dieses Verhältnis. Und auch dafür gilt wieder das, was ich eben zu Friedrich insgesamt gesagt habe. Trotzdem glaube ich, dass wir über das, was da geistig, mentalitätsgeschichtlich stattfindet, zwischen Goethe und Friedrich erst am Anfang stehen, weil wir wirklich versuchen müssen, noch einmal genauer das Welt- und Kunstverständnis der beiden zu begreifen. Und ich will heute in meiner Rede auch nochmal mit zwei Punkten da kleine Fragen aufwerfen und noch einmal Goethes Werther als das für Friedrich zentrale Werk ins Spiel bringen und auch als Erklärungsmuster dafür nehmen, woher die Enttäuschung bei Friedrich kam, dass nämlich dieser Goethe, den er da traf, so wahnsinnig wenig mit jenem Goethe zu tun hatte, den er nach der Lektüre des Werther vermutet hat.