Jens-Uwe Fischer und Friedrich von Borries

Im Interview

28.08.2024 3

Für die Installation „Denkmal über Ehrlichkeit“, die 2024 Teil der Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ war, haben Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer historische DDR-Möbelstücke verwendet. Sie gehören zu der von Franz Ehrlich entworfenen Typenmöbelserie 602, die ab 1957 vom VEB Deutsche Werkstätten Hellerau (Volkseigener Betrieb der DDR) in Dresden produziert wurde. Die Ein­zel­mö­bel konnten frei kombiniert werden, waren preisgünstig und eigneten sich für die Ausstattung der eher kleinen DDR-Neubauwohnungen

Franz Josef Ehrlich (1907–1984) studierte von 1927 bis 1930 am Bauhaus in Dessau, vor allem in der Plastischen Werkstatt bei Joost Schmidt. Im Wintersemester 1929/30 legte er seine Gesellenprüfung als Tischler ab. Anschließend ging er nach Berlin, wo er mit den Bauhäuslern Heinz Loew und Fritz Winter das Büro „studio Z“ gründete und sich als Grafiker und Werbemediengestalter zu etablieren suchte.

1934 wurde Ehrlich in Leipzig aufgrund seines antifaschistischen Engagements verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Nach einer drei­jäh­ri­gen Zuchthausstrafe wurde er im September 1937 im Konzentrationslager Bu­chen­wald interniert („Schutzhaft“). Als Häftling musste er dort Zwangsarbeit im Baubüro leisten und gestaltete unter anderem den heute – auf schreckliche Weise – ikonisch  gewordenen Schriftzug „Jedem das Seine“ für das Tor des Lagers. Eine ori­gi­nal­ge­treue Replik des Tores wird bis Mitte September 2024 im Rahmen der Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ vor dem Schiller-Museum in Weimar gezeigt.

1939 aus dem KZ Buchenwald entlassen, arbeitete Ehrlich – nun nicht mehr als Häftling, sondern als Zivilangestellter der SS – weiterhin im dortigen Baubüro. Ende 1940 bewarb er sich in die Zentrale des SS-Bauwesens in Berlin-Lichterfelde, wo er im SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt mit den zentralen Schreibtischtätern der Kolonialisierungs- und Vernichtungspolitik in Mittel- und Osteuropa zu­sam­men­ar­bei­te­te, bis er im Frühjahr 19

Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich Ehrlich in Dresden nieder, trat der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) bei und wirkte äußerst erfolgreich als Stadtplaner, Architekt, Innenarchitekt und Möbeldesigner. Ab den späten 1940er Jahren arbeitete er als künstlerischer Mitarbeiter des VEB Deutsche Werkstätten Hellerau und richtete wichtige Objekte im Auftrag von Staat und Partei ein. In den 1960er Jahren reüssierte er als Architekt beim Ministerium für Außenwirtschaft der DDR, wo er Inneneinrichtungen für Handelsvertretungen der DDR im Ausland entwarf.

Im Jahr 2009 wurde Franz Ehrlich in Weimar eine Einzelausstellung  gewidmet, wobei sich im Nachgang herausstellte, dass er eine Zeitlang als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die DDR-Staatssicherheit tätig gewesen war.

Franz Ehrlich, um 1932

Wann und in welchem Kontext entstand die Installation?
Friedrich von Borries: Wir forschten an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) Hamburg mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mehrere Jahre über Franz Ehrlich, über sein Leben und sein Werk. Da wir an der HFBK Forschung auch als künstlerischen Prozess verstehen, haben wir schon ganz am Anfang unseres Projekts 2018 ein ehrlichmonument im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) Berlin realisiert, und auf diese kleine Ausstellung hin kam dann die erste Anfrage aus Weimar. Für die Installation im Bauhaus-Museum haben wir, auf Basis unserer Forschungsergebnisse, die Ursprungsidee weiterentwickelt, geschärft, pointiert.
Wie kam es zu dem Titel „Denkmal über Ehrlichkeit“? Wie ist das Wort ‚Denkmal‘ in diesem Zusammenhang zu verstehen?
Friedrich von Borries: Nun, das Wort Denkmal hat etwas Doppeldeutiges, wenn nicht gar Doppelbödiges: zum einen das Denkmal, das auf einem Sockel steht, etwas erhebt; zum anderen die Aufforderung, selbst zu denken, im Sinne von: „Denk Mal!“.
Denkmäler werden entweder für lebende Granden aufgestellt oder – vermutlich in den meisten Fällen – für verstorbene. Ist die Ehrlichkeit tot?
Jens-Uwe Fischer: Ich denke nicht, dass die Ehrlichkeit tot ist, aber vielleicht ist sie ein Stückweit verschüttgegangen. Unser Denkmal will ja gerade dazu auffordern, dass wir dar­über nachdenken, wie ehrlich wir zu uns selbst sind. Und von der historischen Person Franz Ehrlich zeichnen wir ein „ehrlicheres“ Bild. Letztlich hatten auch wir anfangs, das muss man eingestehen, ein sehr idealisiertes Bild vom Bauhäusler Ehrlich. So wurde er in den 1980er Jahren von einem DDR-Bauhausforscher als „wichtigster Architekt unseres Landes“ und in den 1990er Jahren von einem west­deut­schen Architekturhistoriker als „Persönlichkeit, die man zu den stärksten der deutschen Nachkriegszeit zählen muss“, überhöht. Derartige Idealisierungen und Heldengeschichten sind sehr zählebig, aber sie bringen uns nicht weiter. Denn Bauhäusler waren nicht nur Helden, sondern ganz normale Menschen. Und die extreme Geschichte von Franz Ehrlich kann uns helfen, darüber nachzudenken, wie wir uns heute verhalten, wie ehrlich wir zu uns selbst sind.
Kann die Typenmöbelserie 602, die es seit 1957 in der DDR zu kaufen gab, als eher sperrig benannter Vorläufer von IKEA-Möbelserien à la Billy, Ivar und Hemnes angesehen werden? Woher stammen die historischen DDR-Möbelstücke, aus denen Ihre Installation besteht?
Jens-Uwe Fischer: Die Möbelstücke haben wir in verschiedenen Orten in Mittel- und Ostdeutschland gekauft, oft von den Kindern oder Enkeln der Käufer*innen. Das Spannende ist ja, dass jedes dieser Möbel nochmal eine ganz eigene Geschichte zu erzählen hat. Für die Installation haben wir sie nicht aufgearbeitet, sondern ihre Patina, ihre kleinen Fehler und Kratzer ganz bewusst belassen.

Und zur Frage nach IKEA. Man kann schon sagen, dass die von Ehrlich für die Deut­schen Werkstätten Hellerau entworfene Serie 602 ein weiterer Schritt im Übergang von der handwerklichen zur industriellen Möbelproduktion war. Doch 602 wurde als fertig montiertes Möbelstück ausgeliefert. Vergleichbar mit Billy & Co. ist vielmehr das „Möbelprogramm Deutsche Werkstätten“ (MDW), das Ehrlichs Serie 602 im Jahr 1967 nachfolgte. Das von Rudolf Horn, der damals Professor an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle war, entworfene System bestand aus Spannplatten, die von den Käufer*innen zuhause montiert wurden – wie Billy eben heute.
Gibt es eine Gebrauchsanweisung für Ihre Installation? Wie soll sich das Publikum ihr nähern?
Friedrich von Borries: Mir ist bei Ausstellungen eine mehrschichtige Zu­gangs­mög­lich­keit wichtig. Man kann sich die Installation kurz ansehen, auf den Button drücken und sich ein paar der Aussagen über Ehrlichkeit anhören und nach zwei Minuten weitergehen. Man kann aber auch 20, 30 Minuten verbringen und alle Texte lesen. Und wer dann immer noch nicht genug hat, kann sich Gedanken machen, warum in der Vitrine ein Akkuschrauber und Schrauben liegen – und dann vielleicht zu der Erkenntnis kommen, dass „Geschichte“ immer etwas Zusammengesetztes, Zu­sam­men­ge­schraub­tes ist, das sich wieder verändern kann.

Jens-Uwe Fischer: Und wer dann immer noch nicht genug hat, kann sich die App Der Bauhäusler Franz Ehrlich in Buchenwald auf sein Smartphone her­un­ter­la­den – und mit diesem Audiowalk einen Rundgang zu Franz Ehrlich auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald machen.
Franz Ehrlichs Vita wirkt von unserer heutigen Warte aus ambivalent. Können Sie sein Verhalten verstehen? Lässt sich an seiner Person eine Kontinuitätslinie ziehen von den Bauhaus-Werkstätten in Dessau über die SS-Lagerarchitektur in Bu­chen­wald und die Innenausstattung von DDR-Botschaften bis hin zu den Typenmöbeln der Serie 602 in der Plattenbauwohnung? Oder sind das Lebensphasen, die nichts miteinander zu tun haben?
Jens-Uwe Fischer: Prägend für Franz Ehrlich waren Bauhaus und Buchenwald, die ich gern als Symbole zweier ungleicher Moderneentwürfe bezeichne. Sie blieben für sein gesamtes weiteres Leben zentrale Bezugspunkte. Seine Fremd- und Selbstdefinition im sozialistischen Staat beruhte immer auf diesen beiden „Stationen“ seines Lebens beziehungsweise den systemkonformen Metaerzählungen von diesen. Er konnte sich davon nicht emanzipieren, denn auch die Nachkriegsgesellschaft verlangte Ein­deu­tig­keit von ihm.

Immer wieder – im Bauhaus, in Buchenwald, im Sozialismus – musste er sich den totalen beziehungsweise totalitären Ansprüchen seiner Umwelt anpassen, sich integrieren. Um zu überleben, um zu leben, um gut zu leben, passte er sich ra­di­kal­prag­ma­tisch an, übertrieb seine eigene Rolle und stapelte hoch. Und so ist seine Biografie für uns heute ambivalent, oder besser unbehaglich. Franz Ehrlich war antifaschistischer Widerstandskämpfer und angestellter „SS-Architekt“, er war avantgardistischer Visionär und kleinbürgerlicher Genosse, er war Kritiker von Fehlentwicklungen in der DDR und Stasi-Mitarbeiter.
Für Ihre Installation könnte man sich so auch den Titel „Mahnmal über Ehrlichkeit“ vorstellen. Wäre das für Ihren Geschmack zu moralisierend?
Jens-Uwe Fischer: Ein Mahnmal läge nicht in unserem Interesse. Über Moral, Werte und Konventionen unserer Gesellschaft zu diskutieren hingegen schon. Wie Friedrich von Borries vorhin ja andeutete, ist unsere Installation mit der Aufforderung „Denk Mal!“ verbunden. Die Geschichte von Ehrlich ist nur ein, wenn auch extremes Beispiel, das uns helfen kann, über unser eigenes Leben nachzudenken. Wir mahnen nicht, hier ist nichts in Stein gemeißelt. Gut, die Möbel sind fest verschraubt, aber das ist nur der momentane Zustand, das Denkmal ist veränderbar und erweiterbar.
Braucht die gegenwärtige Gesellschaft mehr Ehrlichkeit? Falls ja: Wo sehen Sie aktuell den dringlichsten Ehrlichkeitsbedarf?
Friedrich von Borries: Die Frage kann man sehr kurz oder sehr lang beantworten. Sehr kurz wäre: Ja, vor allem sich selbst gegenüber. Wie verhalte ich mich angesichts der gesellschaftlichen Situation (Stichwort: Rechtsruck) und der globalen Her­aus­for­de­run­gen (Stichwort: Klimawandel)?

Zur Installation und den Machern

Das „Denkmal über Ehrlichkeit“ ist eine gemeinsame Arbeit von Friedrich von Borries, Jens-Uwe Fischer und Frieder Bohaumilitzky, Grafik: Ingo Offermanns. Es wurde durch den Arbeitskreis selbstständiger Kulturinstitute (AsKI) gefördert und ist ein weiteres Ergebnis des durch die Deut­sche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojektes „Franz Ehrlich. Leben und Werk“ an der Hochschule für bildenden Künste (HFBK) Hamburg. Weitere Informationen: franzehrlich.hfbk.net

Prof. Dr. Friedrich von Borries (*1974) lehrt Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK). Als Gegenwartsanalytiker und Zukunftsgestalter agiert er in den Grenzbereichen von Stadtentwicklung, Architektur, Design und Kunst. Neben Ausstellungen, wissenschaftlichen Studien und Publikationen entwickelt er Masterpläne, Filme, Designobjekte und künstlerische Projekte.

Dr. Jens-Uwe Fischer (*1977) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel. Er forscht zur Rolle und Bedeutung von Gestaltung, Architektur und Design in Geschichte und Gegenwart – und konzipiert und entwickelt innovative Bildungs- und Vermittlungsformate (mit), die im Grenz­be­reich von Wissenschaft und Kunst, Gesellschaftskritik und Gestaltung agieren. Ein besonderes Anliegen ist ihm, wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich für die allgemeine Öffentlichkeit aufzubereiten. Sein Audiowalk „Der Bauhäusler Franz Ehrlich in Buchenwald“ ist für Smartphones hier verfügbar.

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