
Jens-Uwe Fischer und Friedrich von Borries
Im Interview
Für die Installation „Denkmal über Ehrlichkeit“, die 2024 Teil der Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ war, haben Friedrich von Borries und Jens-Uwe Fischer historische DDR-Möbelstücke verwendet. Sie gehören zu der von Franz Ehrlich entworfenen Typenmöbelserie 602, die ab 1957 vom VEB Deutsche Werkstätten Hellerau (Volkseigener Betrieb der DDR) in Dresden produziert wurde. Die Einzelmöbel konnten frei kombiniert werden, waren preisgünstig und eigneten sich für die Ausstattung der eher kleinen DDR-Neubauwohnungen
Franz Josef Ehrlich (1907–1984) studierte von 1927 bis 1930 am Bauhaus in Dessau, vor allem in der Plastischen Werkstatt bei Joost Schmidt. Im Wintersemester 1929/30 legte er seine Gesellenprüfung als Tischler ab. Anschließend ging er nach Berlin, wo er mit den Bauhäuslern Heinz Loew und Fritz Winter das Büro „studio Z“ gründete und sich als Grafiker und Werbemediengestalter zu etablieren suchte.
1934 wurde Ehrlich in Leipzig aufgrund seines antifaschistischen Engagements verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Nach einer dreijährigen Zuchthausstrafe wurde er im September 1937 im Konzentrationslager Buchenwald interniert („Schutzhaft“). Als Häftling musste er dort Zwangsarbeit im Baubüro leisten und gestaltete unter anderem den heute – auf schreckliche Weise – ikonisch gewordenen Schriftzug „Jedem das Seine“ für das Tor des Lagers. Eine originalgetreue Replik des Tores wird bis Mitte September 2024 im Rahmen der Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ vor dem Schiller-Museum in Weimar gezeigt.
1939 aus dem KZ Buchenwald entlassen, arbeitete Ehrlich – nun nicht mehr als Häftling, sondern als Zivilangestellter der SS – weiterhin im dortigen Baubüro. Ende 1940 bewarb er sich in die Zentrale des SS-Bauwesens in Berlin-Lichterfelde, wo er im SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt mit den zentralen Schreibtischtätern der Kolonialisierungs- und Vernichtungspolitik in Mittel- und Osteuropa zusammenarbeitete, bis er im Frühjahr 19
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich Ehrlich in Dresden nieder, trat der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) bei und wirkte äußerst erfolgreich als Stadtplaner, Architekt, Innenarchitekt und Möbeldesigner. Ab den späten 1940er Jahren arbeitete er als künstlerischer Mitarbeiter des VEB Deutsche Werkstätten Hellerau und richtete wichtige Objekte im Auftrag von Staat und Partei ein. In den 1960er Jahren reüssierte er als Architekt beim Ministerium für Außenwirtschaft der DDR, wo er Inneneinrichtungen für Handelsvertretungen der DDR im Ausland entwarf.
Im Jahr 2009 wurde Franz Ehrlich in Weimar eine Einzelausstellung gewidmet, wobei sich im Nachgang herausstellte, dass er eine Zeitlang als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die DDR-Staatssicherheit tätig gewesen war.

Franz Ehrlich, um 1932
Und zur Frage nach IKEA. Man kann schon sagen, dass die von Ehrlich für die Deutschen Werkstätten Hellerau entworfene Serie 602 ein weiterer Schritt im Übergang von der handwerklichen zur industriellen Möbelproduktion war. Doch 602 wurde als fertig montiertes Möbelstück ausgeliefert. Vergleichbar mit Billy & Co. ist vielmehr das „Möbelprogramm Deutsche Werkstätten“ (MDW), das Ehrlichs Serie 602 im Jahr 1967 nachfolgte. Das von Rudolf Horn, der damals Professor an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle war, entworfene System bestand aus Spannplatten, die von den Käufer*innen zuhause montiert wurden – wie Billy eben heute.
Jens-Uwe Fischer: Und wer dann immer noch nicht genug hat, kann sich die App Der Bauhäusler Franz Ehrlich in Buchenwald auf sein Smartphone herunterladen – und mit diesem Audiowalk einen Rundgang zu Franz Ehrlich auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald machen.
Immer wieder – im Bauhaus, in Buchenwald, im Sozialismus – musste er sich den totalen beziehungsweise totalitären Ansprüchen seiner Umwelt anpassen, sich integrieren. Um zu überleben, um zu leben, um gut zu leben, passte er sich radikalpragmatisch an, übertrieb seine eigene Rolle und stapelte hoch. Und so ist seine Biografie für uns heute ambivalent, oder besser unbehaglich. Franz Ehrlich war antifaschistischer Widerstandskämpfer und angestellter „SS-Architekt“, er war avantgardistischer Visionär und kleinbürgerlicher Genosse, er war Kritiker von Fehlentwicklungen in der DDR und Stasi-Mitarbeiter.
Zur Installation und den Machern
Das „Denkmal über Ehrlichkeit“ ist eine gemeinsame Arbeit von Friedrich von Borries, Jens-Uwe Fischer und Frieder Bohaumilitzky, Grafik: Ingo Offermanns. Es wurde durch den Arbeitskreis selbstständiger Kulturinstitute (AsKI) gefördert und ist ein weiteres Ergebnis des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojektes „Franz Ehrlich. Leben und Werk“ an der Hochschule für bildenden Künste (HFBK) Hamburg. Weitere Informationen: franzehrlich.hfbk.net
Prof. Dr. Friedrich von Borries (*1974) lehrt Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK). Als Gegenwartsanalytiker und Zukunftsgestalter agiert er in den Grenzbereichen von Stadtentwicklung, Architektur, Design und Kunst. Neben Ausstellungen, wissenschaftlichen Studien und Publikationen entwickelt er Masterpläne, Filme, Designobjekte und künstlerische Projekte.
Dr. Jens-Uwe Fischer (*1977) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel. Er forscht zur Rolle und Bedeutung von Gestaltung, Architektur und Design in Geschichte und Gegenwart – und konzipiert und entwickelt innovative Bildungs- und Vermittlungsformate (mit), die im Grenzbereich von Wissenschaft und Kunst, Gesellschaftskritik und Gestaltung agieren. Ein besonderes Anliegen ist ihm, wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich für die allgemeine Öffentlichkeit aufzubereiten. Sein Audiowalk „Der Bauhäusler Franz Ehrlich in Buchenwald“ ist für Smartphones hier verfügbar.
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