Medienkunst von Michał Matejko

„Ich bin davon überzeugt, dass alle großen Realitäten bereits vor uns liegen“

Interview mit Michał Matejko

20.03.2025 0

Der Warschauer Künstler Michał Matejko über seine Bildreihe personal_data, die er in der Auseinandersetzung mit Goethes Faust und dem Magazin-Beitrag von Dietmar Dath für klassisch modern entwickelt hat.

Lieber Michał, wir schauen auf abstrakte, technoide schwarzweiß-Darstellungen und es ist allein durchs Anschauen nicht zu ermitteln, in welchem Zusammenhang diese Arbeiten mit Goethe und seinem Werk Faust stehen. Könntest Du uns erläutern, wie Du zu diesen Ergebnissen kommst?
Ich lese den Text und lasse ihn mir vorlesen, und dabei tauche ich tief ein in die Atmosphäre des Dramas. Mich interessiert vor allem die Beziehung zwischen Faust und Mephistopheles, die Dynamik in der Entwicklung ihres Verhältnisses und den Einfluss, den das Geschehen auf die Interpretation der Charaktere hat. Parallel dazu beschäftige ich mich mit dem Text von Dietmar Dath und folge ihm in die angebotenen Kontexte. Auf einer dritten Ebene schließlich suche ich nach Stichen deutscher Künstler, die Faust und Mephistopheles darstellen. Mich interessieren besonders Szenen, die ihre Interaktion zeigen. Dies alles wird zu meinem Ausgangs-, meinem Arbeitsmaterial.
Auf der Bildebene arbeite ich mit kontrollierten Prozessen von Auflösung. Ich beschäftige mich bereits seit langer Zeit mit Dateizersetzungen und nutze meine Erfahrung, um eine eigene Ästhetik zu entwickeln. Es ist ein transformativer Akt, in den auch Textfragmente aus dem Drama einfließen, die ich als visuelle Elemente verschlüssele und in die Bildstruktur einbaue. Schritt für Schritt füge ich alles zusammen und zerstöre und reduziere das Bild, wobei ich mich von der Komposition und den Emotionen leiten lasse, die ich während der Erstellung empfinde.
Du benutzt den Begriff Glitch für Deine Arbeiten, was etwa Fehler bedeutet, aber im digitalen Bereich auch einen fehlerproduzierenden Prozess beschreibt. Bestimmst Du einen beliebigen Moment der Zerstörung oder legst Du diesem Projekt eine bestimmte Formel zugrunde, einen genau definierten Prozess, der ausgelöst wird durch beispielsweise einen bestimmten Begriff aus Faust?
Ein Fehler oder Glitch ist für mich der Moment, in dem wir die Fähigkeit verlieren, das Bild, das wir sehen, oder den Text, den wir lesen, sowohl bildlich als auch kontextuell zu erkennen. Erkennen ist ein gewisser Trost – eine Art Bezugspunkt –, den wir verlieren, wenn die Bildlichkeit verschwindet. Ich glaube, dass es in meinem kreativen Prozess ein verborgenes Bedürfnis gibt, etwas Tieferes zu suchen, eine größere Realität. Mir ist jedoch bewusst, dass dieses Bedürfnis etwas Utopisches hat, das an Fausts Streben erinnert, Trost und Erfüllung durch Wissen zu finden. Ich sehe diese Art der Suche als eine Art „Glitch“. Ich bin davon überzeugt, dass alle großen Realitäten bereits vor uns liegen und dass die Methode, die es uns ermöglicht, sie zu erfahren, das bewusste Erleben von Emotionen ist, das Betrachten kompositorischer Spannungen, und beides in ein reflektierendes Verhältnis zu setzen.
Wieviel Glitch-Potential steckt im Text von Dietmar Dath?
Mich interessiert daran vor allem die Perspektive des Bildungssystems. Die Einteilung in Wissensgebiete ist notwendig, aber sie garantiert kein vollständiges Verständnis, das ja eine ständige Offenheit für Ungewissheiten erfordert. Ich stimme Daths Gedanken zu: „Die Poesie muss die vorgegebenen Themen immer so darstellen, als würde sie es zum ersten Mal tun.“ Dies kommt meiner Herangehensweise an die Glitch-Art nahe, bei der jeder Glitch ein einzigartiges und unwiederholbares Thema schafft. Auf diese Weise betrachte ich meine Arbeit als einen Prozess der künstlerischen und emotionalen Entdeckung.
In seiner Analyse weist Dath auf das wachsende Problem der Wissensorganisation innerhalb von Institutionen hin. Wenn ich mich auf seinen Text beziehe, sehe ich, dass meine Überlegungen zur Datenverarbeitung und ihrer Rolle in unserem Leben mit seiner Kritik an der zunehmenden Trennung von Lehre und Forschung übereinstimmen. Heute übernehmen Technologie und künstliche Intelligenz die Rolle der Verwaltung der riesigen Informationsmenge, was zu wichtigen Fragen über unser zukünftiges Verhältnis zur KI führt. Die Organisation von Daten wird nicht nur zu einer technologischen, sondern auch zu einer existenziellen Herausforderung, die ein Überdenken der Rolle des Menschen in der digitalen Welt erfordert.
Im Kontext von Dath und seiner Interpretation von Goethe fängt mein Ansatz der Informationsverarbeitung und ihrer Zerlegung – ähnlich dem Prozess in der Glitch Art – den Geist der kreativen Reflexion über die wachsende Distanz zwischen der Verfügbarkeit von Wissen und seinem wahren Verständnis ein.
Wie würdest Du die Farben und die spannungsvolle Intensität Deiner Arbeit beschreiben?
Schwarz ist „die Abwesenheit von Licht (Farbe)“ und Weiß ist „die Anwesenheit allen Lichts“. Für mich sind Schwarz und Weiß zentrale Werkzeuge in meinem kreativen Prozess. Weiß, das gleichzeitig sowohl die Abwesenheit als auch die Summe aller Farben bedeuten kann, ermöglicht es mir, das Bild auf eine kraftvolle Komposition zu reduzieren und Grautöne herauszuarbeiten, die als Verbindung zwischen dem kontrastierenden Schwarz und Weiß dienen. Schwarz hingegen ist die vollständige Abwesenheit von Licht und Farbe und bildet eine Grenze, die – zusammen mit Weiß – Raum für verschiedene Graustufen schafft.
Ebenfalls von großer Bedeutung ist mein Verweis auf die digitale Realität, die auf binärem Code basiert. Dieser bildet die Grundlage für die Bildbearbeitung und wird als Abfolge von „0“ und „1“ dargestellt. In der binären Sprache steht „0“ für das Fehlen eines Signals (keine Farbe) und „1“ für das Vorhandensein eines Signals (Farbe) – was die Beziehung zwischen Schwarz und Weiß widerspiegelt, in der „0“ und „1“ wie volles Schwarz und volles Weiß fungieren.
Mit jeder Anpassung von Helligkeit oder Kontrast wechseln zahlreiche „0“ zu „1“ (und umgekehrt), wodurch ein dynamisches Bild in Form einer komplexen Datenfolge entsteht. Man kann sich vorstellen, dass jede Veränderung der Helligkeit viele „0“ in „1“ verwandelt (und umgekehrt), was die Struktur des Bildes und das Verhältnis von Weiß, Schwarz und Grau beeinflusst, das die Komposition bildet. In meiner Arbeit ist dieses Wechselspiel von Nullen und Einsen wie der „Puls“ des Bildes – seine Visualisierung ändert sich ständig, und jede Iteration erschafft eine neue Version, die letztendlich durch meine Emotionen und Intuition im kreativen Prozess geformt wird..
Kann man Deine Arbeit demnach als abstrakte, persönliche und intuitiv gesteuerte Analyse von Goethes Faust bezeichnen?
Meine Arbeit ist zweifellos persönlich – sonst könnte sie nicht aufrichtig oder authentisch sein. Sie speist sich aus meiner Sensibilität und meinen Lebenserfahrungen. Intuition spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung meiner Werke. Was die Kontrolle betrifft, so ist sie zweifach: einerseits sehr stark, andererseits unvollständig. Im Prinzip habe ich keine vollständige Kontrolle über den Prozess der Bildgestaltung; jede seiner Transformationen ist für mich eine Entdeckung und eine neue Erfahrung.

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