Konzert für Buchenwald

Lyrik von Rebecca Horn

Art: LyrikAutor: Rebecca Horn
21.06.2024 0

Rebecca Horn schuf 1997 die Rauminstallation „Konzert für Buchenwald“, die seit 1999 im E-Werk Weimar zu sehen ist. Sie gilt als bedeutendes Beispiel zum Holocaust in der zeitgenössischen Kunst. Horn verfasste dazu auch ein Gedicht.

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2 Min | Sprecherin: Lara Huesmann

Konzert für Buchenwald

Buchenwald
eine abrasierte Schädeldecke

die Genickschussanlage getarnt in
einem hölzernen Messstab
das Halswirbelorakel
keine Vögel auf dem Berg,
kein Laut,

die Toten sind in Angst verbunden,
bilden eine bleierne Hautglocke,
die über Weimar hängt

auch Bäume wollen hier
nicht wachsen,
als ob die Energie vom Innern
der Erde aufgesaugt,
durch Steine den Grundriss
des Lagers beschwert.

In Polen gab man Gefangenen
ein Beil,

schickte sie in den Wald,
um einen Baum zu fällen
stehend mussten sie
den Baum umklammern
von hinten wurden sie erschossen

ein gerodeter Wald
von Körpern und Bäumen.

Die Sonne zeichnete Körper
und Pflanzen im Feuer
zum Aschefeld einer
verkohlten Landschaft.

Aufbrechen der toten Erdkruste
Dunkelheit,
Schwere im Innern,
in die man täglich hinabsteigt

blinde Beweglichkeit
in konstanter Ausdauer
Maulwurfshügel, Vulkane,
geheime Satellitenstationen
die Maulwürfe,
die aus dem Innern der Erde ihre
Klopfzeichen senden.

Straßenbahndepot in Weimar
Landschaft der 56.000
Den Schienenstrang durch das Tor ins
Innere verlegen

ein kleiner Transportwagen
aus Buchenwald

fährt in Herzrhythmen
gegen die hintere Wand,
der Aufprall erzeugt Blitze,
die wie Seelenstränge an der
Stirnwand emporzüngeln,
die Landschaft der Asche erhellen.

Les funérailles des instruments

Immer noch schlafen die Körper,
die Geigen auf den Gleisen
warten geduldig auf den Transport
ihrer Erlösung.
Der Wagen fährt über den Hals
einer Geige,
im Zerbersten erklingt leise ein Ton.
Den Kaktus der Leere verschlingen.

Raum der Bücher
fließendes Wachs schweiße
die Bücher zusammen,
verbrennt sie.
Eine Bibliothek aus Asche bauen.

Entstanden 1997

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