
Eine (un)mögliche Ausstellung
Interview mit den Kurator*innen
Die Sonderausstellung Nietzsche privat im Museum Neues Weimar zeigt erstmals die Einrichtung der Geschwister Nietzsche. Was uns die Möbel heute noch erzählen können, warum historische Fotos für die Ausstellung wichtig sind und was es mit der Inszenierung der Objekte auf Paletten und in Transportkisten auf sich hat, verraten die Kuratoren im Interview.
Sabine Walter: Der Bestand ist gigantisch und treibt mich schon länger um. Im Arbeitsalltag konnten wir uns nicht einfach nebenbei damit beschäftigten, dafür brauchte es schon ein richtiges Projekt. Kunst und Memoria und das Themenjahr Wohnen der Klassik Stiftung Weimar boten uns endlich einen Anlass, die Objekte zu zeigen. Wir haben uns erst mit den Restaurator*innen zusammengesetzt, denn die Möbel waren in einem desolaten Zustand und sind es nach wie vor. Die Kolleg*innen haben sie dann für die Ausstellung transport- und ausstellungsfähig gemacht, aufwendig restauriert wurden sie aber nicht.

Erstmals werden die Möbel und persönlichen Gegenstände der Geschwister Nietzsche in einer Ausstellung gezeigt, © Klassik Stiftung Weimar – Foto: Henry Sowinski
Sabine Walter: Nietzsche selbst hat auch nicht viel Wert auf ein spezielles Einrichtungsdesign gelegt. Es war seine Schwester, die seine Baseler Wohnung eingerichtet hat. Die Wahl der Möbel und des Hausrats war damals eher Frauensache. Wir können nur von zwei Möbeln nachweisen, dass der „denkende“ Nietzsche darin in Basel gelebt hat: Ein barocker Kabinettschrank und ein Biedermeierschrank. Beide sind in der Ausstellung zu sehen. Die restliche Einrichtung war sicherlich im zeittypischen Stil des Historismus. Nachdem Nietzsche 1879 Basel verlassen hat, war er freier Philosoph ohne einen festen Wohnsitz. Er ist also viel gereist und hat oft in Gästezimmern gelebt, die vermutlich ähnlich altdeutsch eingerichtet waren. Dabei kritisierte Nietzsche die „Jahrmarktsbuntheit“ des deutschen Historismus, den er als „Tumult aller Stile“ und als rückwärtsgewandt beschrieb. Dass Nietzsche Kritik an einem Stil übte, in dem er selbst lebte, ist einerseits widersprüchlich, andererseits muss man ihm zugutehalten, dass er keine Wahl hatte: Er hatte weder Geld noch Möglichkeit, sich beispielsweise mit den neuen Arts-and-Crafts-Möbeln aus England einzurichten und der moderne Jugendstil kommt erst später. Nietzsche stirbt zwar 1900, der denkende Nietzsche ist aber bereits 1889 tot.

Curt Stoevings Porträt von Friedrich Nietzsche, 1894, Klassik Stiftung Weimar – Museen

Erst in den 1890er-Jahren setzt eine künstlerische Auseinandersetzung mit Nietzsche ein, © Klassik Stiftung Weimar – Foto: Henry Sowinski

Das Nietzsche Archiv im Jahr 1903, © VG Bildkunst 2023
Manuel Schwarz: Die Inszenierung in Kunsttransportkisten hat auch etwas mit der Ortlosigkeit der Objekte zu tun. Seit 1945 waren die Gegenstände in unterschiedlichen Depots und dabei immer unter Verschluss. Bis 1945 sind die Möbel teilweise viel gereist und bei vielen wissen wir nicht, wo sie herkommen. Wurden sie angekauft? Handelt es sich um Erbstücke? Von welchen Familienmitgliedern sind sie? Kommen sie aus Weimar, Basel, Naumburg? Welchen Weg haben sie genommen? Da gibt es noch viel zu erforschen.
Sabine Walter: Wir wollen aber noch ein weiteres Thema aufgreifen: Wertvolle Objekte erhalten für den Transport maßgefertigte Klimakisten. Die kann man sich wie Matrjoschkas vorstellen, die mit ihren mehreren Schichten das Kunstgut vor Erschütterungen und Klimaschwankungen schützen. Sobald sie ihren Dienst geleistet haben, werden sie geschreddert. Nur selten werden sie mehrfach genutzt. Das ist, was Nachhaltigkeit betrifft, natürlich äußerst fragwürdig. Wir haben uns deshalb überlegt, gebrauchte Kisten zu verwenden und diese nach der Ausstellung abzugeben. Man könnte sie beispielsweise zu Regalen oder Hochbeeten umbauen.

Zimmer von Elisabeth Förster-Nietzsche im Nietzsche-Archiv, 1926, Foto: Atelier Louis Held
Manuel Schwarz: Spannend ist auch der riesige Spiegel von Elisabeth Förster-Nietzsche. Der ist etwa zwei Meter groß und wir haben herausgefunden, dass Elisabeth vor dem Spiegel in Naumburg geheiratet hat. Das geht aus einem Brief der Mutter an Friedrich Nietzsche hervor, in dem sie die Hochzeitszeremonie beschreibt. Für uns war das nicht vorstellbar. Die Räume in Naumburg sind vergleichsweise klein und mit alten, schweren Möbeln vollgestellt. Also hat Dr. Ralf Eichberg vom Nietzsche-Dokumentationszentrum den Raum für uns ausgemessen. Nun können wir mit Gewissheit sagen, dass Elisabeth vor dem Spiegel in Naumburg geheiratet hat. Das ist aber noch nicht alles. Auf dem Foto ist alles exakt so aufgestellt – der Spiegel, die Stühle, ein Ozelotfell –, wie es die Mutter in dem Brief beschreibt. Es war sehr spannend, das herauszufinden und in Naumburg zu überprüfen. Auch hier kann man also zeigen, wie Elisabeth ihr eigenes Zimmer zu einem Memorialraum inszeniert hat.
Manuel Schwarz ist Historiker und hat 2023 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena promoviert. Er forscht und publiziert vorwiegend zur Thüringer Monarchie-, Kultur- und Landesgeschichte. Als Ausstellungskurator war er u.a. für das Haus der Bayerischen Geschichte tätig. Aktuell leitet er beim Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW) die Studie „Kunst und Memoria“ zum dinglichen Nachlass des Nietzsche-Archivs und die Forschungsgruppe Raum.
Sabine Walter hat Kunstgeschichte in Tübingen und Paris studiert und arbeitet seit 1996 bei der heutigen Klassik Stiftung Weimar. Als Kustodin in der Abteilung Bauhaus-Museum, Moderne und Gegenwart der Direktion Museen betreut sie die Bestände Malerei, Plastik und Kunstgewerbe aus der Zeit von 1860 bis 1918. Walter verantwortet museumsseitig das Museum Neues Weimar, das Nietzsche-Archiv und das Haus Hohe Pappeln und leitet das Projekt Werkverzeichnis Henry van de Velde.
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