Johann Wolfgang von Goethe: Nächtlicher Vesuvausbruch, Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe, Feder mit Tusche, Aquarellfarben, 1787

Plutonismus

Die Insel der Plutonisten

20.03.2025 7

Die Meeresbiologin Antje Boetius und der isländische Schriftsteller Halldór Guðmundsson mischen sich ein in den Streit der Neptunisten und Plutonisten und aktualisieren Goethes Frage nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält und wie wir Menschen dieses aus den Tiefen der Meere und den Feuern der Vulkane entstandene Wunder immer noch zu entschlüsseln versuchen.

»Hast du, o Thales, je, in Einer Nacht,
Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?«
»Der Heerrauch, […] ein anhaltender, weit sich erstreckender
trockner Nebel, welcher aus schwefligen, oder noch nicht vollkommen aufgelösten Dünsten besteht, welche folglich die Luft
undurchsichtiger machen als gewöhnlich. Der Sommer 1783,
wo der Dunstkreis durch die ungewöhnlich heftigen Ausbrüche
Feuer speyender Berge mit fremdartigen Theilen angefüllet
war, zeichnete sich vorzüglich durch einen solchen anhaltenden Heerrauch aus.«

Island ist eine Vulkaninsel. Jegliches Gestein, das man auf Island findet, floss ursprünglich als Lava aus Vulkanausbrüchen, darunter auch der etwa 16 Millionen Jahre alte Basalt, der den ältesten Teil des Landes im Westen und Osten prägt. Andere Teile der isländischen Oberfläche entstanden während der Eiszeit, die vor ungefähr drei Millionen Jahren begann. Der südwestliche Teil des Landes ist stellenweise von Lava bedeckt, die erst nach dem Ende der Eiszeit vor zehntausend Jahren aus Kratern strömte. Und das tut sie immer noch: In den vergangenen drei Jahren gab es hier auf der Halbinsel Reykjanes, etwa 25 Kilometer von der Hauptstadt Reykjavík entfernt, zehn Vulkanausbrüche. Wahrscheinlich wird diese Serie in den nächsten zwei- bis dreihundert Jahren andauern. Wohin das führt, weiß niemand. Die Zeilen von Anaxagoras in Faust II

»Hier aber war’s! Plutonisch grimmig Feuer,
Äolischer Dünste Knallkraft ungeheuer
Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste,
Dass neu ein Berg sogleich entstehen musste.«

beschreiben ziemlich genau, wie sich Island aus dem Nordatlantischen Rücken erhob. Hier fand kein geregeltes, gewaltloses Fließen statt, wie Goethe es gerne als Weltordnungsprinzip gesehen hätte, sondern Explosionen von unglaublicher Kraft, wie sie die Isländer 1963 vor ihrer Südwestküste im kleineren Maßstab erlebten, als eine neue Insel, Surtsey, entstand.

Ein heftiger Streit, der sich in Kontinentaleuropa entwickelte, als die Geologie zur modernen Wissenschaft wurde – zwischen Neptunisten und Plutonisten, nicht zuletzt über die Entstehung Basalts – konnte hier keinen Nährboden finden. Überhaupt wirkt diese Auseinandersetzung, aus der Perspektive eines Landes, in dem immer noch etwa 130 Vulkane aktiv sind, schreibtischartig. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es in Deutschland keinen einzigen aktiven Vulkan gibt; dasselbe gilt auch für das skandinavische Festland. Um verschiedene Arten von Tiefengestein zu untersuchen, mussten Wissbegierige in Deutschland unter Tage steigen, in die Minen des Bergbaus, während die Vulkane auf Island ihre Beweise aus dem Magma hochschleuderten.

Goethe bestieg zwar den damals sehr aktiven Vulkan Vesuv, aber er kam nie in den Norden. Aus der Naturwissenschaft konnte er auch nicht viel über die Entstehung Islands wissen; der erste deutsche Geologe, der Island aufsuchte, Otto Krug von Nidda, kam erst im Jahr nach Goethes Tod.

Die Protagonisten der Aufklärung in Island im 18. Jahrhundert waren keine eigentlichen Geologen, doch der bekannteste Vertreter und erste Naturwissenschaftler Islands, Eggert Ólafsson (1726–1768), war Plutonist und von den Gestaltungskräften des Erdfeuers überzeugt. Das gilt ebenso für alle isländischen Naturforscher, die nach ihm kamen, darunter den ersten isländischen Wissenschaftler, den man als Geologen bezeichnen kann, nämlich Þorvaldur Thoroddsen (1855–1921). Kein einziger isländischer Gelehrter war je ein Anhänger des Neptunismus.

Dennoch hat der Streit über den Ursprung der Erde als Feuerball oder Wasserkugel etwas Faszinierendes, nicht zuletzt, weil historische Vulkanausbrüche auch von kulturgeschichtlicher Bedeutung sind. Seit der Besiedlung Islands um 870 gab es hier zwei Vulkanausbrüche, die zu den größten der schriftlich überlieferten Zeit zählen und das Klima nicht nur in Island, sondern auch in Europa und anderen Teilen der Welt beeinflussten. Beide Ausbrüche fanden in derselben Gegend, in den Bergen im Süden Islands statt.

Der erste Ausbruch ereignete sich in Eldgjá um das Jahr 935 und dauerte vermutlich mehrere Jahre. Er bedeckte etwa 800 Quadratkilometer des Landes mit Lava und verursachte großen Schaden in einem inzwischen vollbesiedelten Land, dessen Bewohner hauptsächlich von der Landwirtschaft lebten. Einige Regionen mussten verlassen werden, und wahrscheinlich fielen Tausende der Hungersnot zum Opfer. Der Ausbruch führte auch zu Missernten in mehreren Ländern Europas, doch dort ahnte man nicht, woher der schwefelhaltige Nebel stammte, der die Sonne wochenlang verdunkelte.

Über Familienfehden und andere menschliche Auseinandersetzungen im 10. und 11. Jahrhundert schrieben die Isländer zweihundert Jahre später Tausende von Saga-Seiten. Aber dieser Ausbruch wird in der gesamten überlieferten Literatur nur in einem einzigen Satz erwähnt, nämlich im Buch der Landnahme, Landnámabók, aus dem 12. Jahrhundert, wo es heißt, dass eine Gegend dicht bevölkert war, „bevor das Erdfeuer rann“. Das Landnahmebuch ist eine einzigartige Quelle über die Besiedlung Islands und enthält 3000 Eigennamen und 1400 Ortsnamen, aber dieser riesige Ausbruch ist ihr nur diesen halben Satz wert. Erst 1899 konnte der Pionier Þorvaldur Thoroddsen dieses gewaltige Naturereignis theoretisch rekonstruieren.

Es gab mehrere große Vulkanausbrüche in den ersten Jahrhunderten nach der Besiedlung Islands, darunter einen gewaltigen in unserem bekanntesten Vulkan Hekla. Doch diese Ereignisse waren den Saga-Verfassern des 13. Jahrhunderts keine Erwähnung wert. Sie hatten ein nüchternes Verhältnis zu Naturkatastrophen, wie auch in der Erzählung über die Christianisierung Islands im Jahr 1000 zu sehen ist. Während des Streits auf dem Althing brach ein Vulkan in der Nähe aus, und die Heiden deuteten dies sofort als Zeichen des Zorns ihrer Götter. Darauf antwortete der christliche Häuptling Snorri der Gode: „Worüber waren die Götter denn zornig, als die Lava floss, auf der wir nun stehen?“ Naturkatastrophen waren kein Stoff für die Sagas; es gab einfach zu viele, und sie entfalteten sich jenseits des menschlichen Einflusses.

Obwohl geologische Erkenntnisse noch auf sich warten ließen, wusste man in Europa bereits im Mittelalter und in der frühen Neuzeit von den Vulkanen auf Island, insbesondere von Hekla, dem sagenumwobenen Berg, wo einige mittelalterliche Autoren den Eingang zur Hölle vermuteten. Denn Vulkane sind immer beides: Quellen der Erneuerung und Ursprung der Vernichtung. Für den Aufklärer Eggert Ólafsson gab es nur einen Weg, Hekla zu entzaubern: Sie zu erklimmen. Das tat er dann 1750 zusammen mit seinem Mitreisenden Bjarni Pálsson. Sie waren die ersten Isländer, die den Berg bestiegen, und konnten nachher schriftlich bestätigen, dass sie dort keine Fabelwesen gefunden hatten. Auch entdeckten sie weder Feuer noch Leben überhaupt, aber sie genossen die schöne Aussicht.

Knapp ein Vierteljahrhundert später ereignete sich der zweitgrößte Vulkanausbruch in der Geschichte Islands – und der Welt. Die Eruption von Laki 1783 bis 1784. 140 Krater schleuderten Lava bis in tausend Meter Höhe, und riesige Mengen Asche und anderes vulkanisches Material bildeten eine 13 Kilometer hohe Säule, die sich letztlich über die halbe Welt ausbreitete. Bereits im Sommer 1783 legte sich ein schwefelhaltiger Nebel über große Teile Europas. Man nannte ihn Höhenrauch oder trockenen Nebel, und die Naturwissenschaftler rätselten über seine Herkunft. Der Anblick der Sonne war durch diesen „Heerrauch“, wie er bei Goethe heißt, getrübt; er beschrieb diese Färbung der Sonne in seiner Farbenlehre. Noch im Jahr darauf sprach Benjamin Franklin über den konstanten Nebel, der sich über Nordamerika und Europa gelegt hatte, was auch zu einem kälteren Klima und Missernten führte. Franklin war der erste Naturwissenschaftler, der das Phänomen mit einem Vulkanausbruch auf Island in Verbindung brachte. Die schlimmsten Folgen gab es jedoch in Island selbst: Zehntausend Menschen verhungerten.

Der Laki-Ausbruch hatte dann schließlich doch literarische Folgen auf Island. Der Pfarrer Jón Steingrímsson, dessen Gemeinde dem Laki am nächsten lag, verfasste einerseits eine Geschichte des Ausbruchs mit sehr präzisen Beobachtungen, die in der Vulkanologie noch immer Gültigkeit haben, andererseits eine einzigartige Autobiografie. Zum ersten Mal beschrieb ein Isländer in der ersten Person seine Lehr- und Wanderjahre, erzählte schonungslos von sexuellen Erfahrungen, Lüsten, Seelenqualen und seiner religiösen Entwicklung. So trug der Krater Laki zur Entdeckung des Ichs in der isländischen Literatur bei.

Bis dahin wäre keinem isländischen Verfasser eingefallen, Vulkane zu idealisieren, doch in der Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckten die Dichter ihr Potenzial: „Fjör kenni oss eldurinn“ – „Möge das Feuer uns das Leben lehren“, dichtete Bjarni Thorarensen, „frostið oss herði“ – „und der Frost uns stärken“. Naturkatastrophen hatten nun eine pädagogische Rolle.

Dieser Blick auf die Vulkane ist seitdem ein Teil der isländischen Mentalität, genauso wie die trocken-ironische Objektivität der Sagas. Mögen sie über die Ausbrüche schreiben oder nicht, die isländischen Verfasser wussten, dass sie auf einer Vulkaninsel waren. Die isländische Literatur und damit das isländische Selbstverständnis ist an der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis entstanden, zwischen Wissen und Entdecken, Neptun und Pluto. Dem gegenüber steht Goethes Dichtung, die mitten in der damaligen Zivilisation wurzelt – diese Grenze war ihm fremd. In Dichtung und Wahrheit schreibt er über die Fabeln der Edda und die nordischen Mythen: „Aber alle diese Dinge, wie wert ich sie hielt, konnte ich nicht in den Kreis meines Dichtungsvermögens aufnehmen“. Stattdessen zog es ihn zur Mythologie der Griechen, einer noch älteren Zivilisation. Sein Neptunismus war auch eine kulturpolitische Entscheidung.

Eine Vulkaninsel im unendlichen Meer: Pluto und Neptun, verbunden durch den ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen, wo Anfang und Ende sich unaufhörlich die Hand reichen. Die neue Insel Surtsey verschwindet langsam, Jahr für Jahr, Meter für Meter, zurück in den Atlantik. Die Hellseherin in der Völuspá, dem altnordischen Gedicht über die Entstehung und das Ende der Welt, sieht ein neues Zeitalter nach Ragnarök, dem Mythos von der Götterdämmerung, die zum Untergang der Welt führt:

»Sie sieht ein zweites Mal aufsteigen
die Erde aus dem Meer, die neu ergrünte;
Wasserfälle stürzen, darüber fliegt der Adler,
der auf dem Felsen Fische jagt.«

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